Die schwarze Jakobe - Paul Heyse (internetowa czytelnia książek TXT) 📖
- Autor: Paul Heyse
- Epoka: Modernizm
- Rodzaj: Epika
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So musst’ ich mich ergeben. Diese Nacht blieb sie bei mir, sie schlief auf einem Sofa, neben das sie das Bett ihres Luischens gestellt hatte. Das Wiedersehen und all unser Geplauder hatte mich so aufgeregt, dass ich erst gegen Morgen einschlief.
Wie ich dann erwachte, war sie längst aufgestanden, hatte ihr Kind in ein Tuch gewickelt und sich mit ihm fortgeschlichen, es heftig untersagend, dass man mich weckte. Ich fuhr sogleich in die Wohnung der Pflegemutter. Auch da war sie nur erschienen, um die paar Siebensachen des Luischens zusammenzuraffen. Wohin sie sich wenden wollte, hatte sie nicht verraten.
*
Also hatte ich sie wieder einmal verloren.
Es machte mir umso mehr Kummer, als ich der festen Überzeugung war, es werde ihr nicht glücken, wieder emporzukommen, und ich allein wäre im Stande gewesen, ihr ein leidliches Loos zu bereiten. Die Hauptsache aber war, dass ich sie noch so herzlich liebte wie in meiner Backfischzeit und alles daran gesetzt hätte, sie bei mir zu behalten, zumal jetzt, da ich mich einsam fühlte und noch nicht entschließen konnte, wieder mitzumachen, was in meinen Kreisen als gesellige Pflicht betrachtet wurde.
Nun denken Sie, wie unerhört es mich überraschte, als zu Anfang des Sommers, da ich eines Sonntagsnachmittags mit meinem Kinde ausgefahren war und dann im Tiergarten ausstieg, um uns etwas Bewegung zu machen, das Kind plötzlich von mir weg auf ein anderes kleines Mädchen zulief, das neben einer Bank mit einem Handwägelchen spielte. Auf der Bank aber saß ein stattlicher, blondbärtiger Mann in Uniform und neben ihm, ganz solide wie eine junge Bürgersfrau angezogen, meine Schwarze.
Sie wurde dunkelrot, als sie uns erblickte, stand auf und flüsterte ihrem Begleiter ein Wort ins Ohr, woraus auch der sich kerzengerade von der Bank erhob und salutierend die Hand an die Mütze legte. Meine Jugendfreundin aber trat ganz unbefangen auf mich zu und sagte: Du kommst mir zuvor, Goldene. Ich wollte in diesen Tagen zu dir kommen und dir meinen Mann, den Wachtmeister Krüger, vorstellen. Ja, wundere dich nur, lachte sie, aber er ist mein richtiger Mann. Er kam auf Urlaub nach dem kleinen Nest, wo ich lebte und mich notdürftig mit meiner Hände Arbeit erhielt. Er hatte da eine kleine Erbschaft zu erheben, und wie er mich zufällig sah, verliebte er sich in mich und bestand darauf, mich zu heiraten. Ich, fuhr sie leiser fort mit einer unbeschreiblichen Gebärde, halb Mitleiden, halb Gleichgültigkeit, — lieber Gott! ich hatte gar kein Verlangen danach, Frau Wachtmeisterin zu werden. Er war mir viel zu groß und zu steif und zu blankgeputzt, und sein Gesicht, das sie alle schön finden, kam mir so hölzern vor wie von einem Nussknacker. Aber er hatte einen Narren gefressen an dem Luischen und ist überhaupt ein so guter Mensch; ich glaubte, ich sei es dem Kinde schuldig. Und das denk’ ich auch jetzt, so oft mir einfällt, ich hätt’ am Ende doch einen dummen Streich gemacht.
Sie lachte gezwungen und winkte dann dem Mann, näher zu kommen. Das tat er sehr gravitätisch, und wie er seinen bärtigen Mund öffnete, um mir ein paar Artigkeiten zu sagen, fiel es auch mir auf, wie sehr er einem blanklackierten Nussknacker ähnlich sah. Aber die Herzensgüte leuchtete ihm aus den Augen. Ich fragte scherzend, wie er mit meiner alten Freundin als Ehefrau zufrieden sei, und er erwiderte, sie sei eine gute Frau und folge ihm aufs Wort, und Appell und Subordination seien die Hauptsache, und daran gewöhne sich auch das Luischen immer mehr. Und da sie Gottlob ihr reichliches Auskommen hätten, die freie Wohnung in der Kaserne, und seine Frau geschickt mit der Nadel sei und sich manchen Nebenverdienst mache, so könne er sich kein besseres Leben denken.
Dabei sah er seine Frau mit so warmer Zärtlichkeit an, dass ich wohl merkte, die Subordination sei durchaus nicht immer auf ihrer Seite, und sie erriet meine Gedanken und lächelte, und ich sah, wie hübsch sie geblieben war und wie guten Grund er hatte, stolz auf sie zu sein. Dann setzte ich mich noch eine Weile zu ihnen auf die Bank, und als wir uns trennten, musste sie mir versprechen, recht bald zu kommen und das Luischen mitzubringen.
Ich wartete aber vergebens. Je mehr ich darüber nachsann, je deutlicher wurde mir, dass sie sich schämte, diese vernünftige Partie gemacht zu haben, und gerade mir gegenüber sich nicht unbefangen zeigen konnte. Ich hätte nun gern meinerseits sie aufgesucht. Aber es widerstrebte mir mehr, zu ihr in die Kaserne zu gehen, als damals in ihr Gefängnis. Zum ersten Mal fühlte ich, dass ein kühler Hauch über mein Herz gekommen war. Ich hätte ihr alles andere zugetraut, als dass sie etwas tat, wozu sie sich nicht mit vollem Herzen getrieben fühlte.
Und wirklich hatte ich mich nicht in ihr getäuscht, wenn ich annahm, dass es unmöglich auf die Länge gut gehen könne.
Stellen Sie sich vor: eines Nachmittags — ein paar Monate waren wieder vergangen — läßt sich der Wachtmeister Klüger bei mir melden. Ich erschrecke bis ins innerste Herz, als der baumstarke Mensch blass und zitternd, wie wenn er eben aus dem Lazarett käme, in mein Zimmer tritt und sogleich die Frage hervorstottert, ob ich seine Frau nicht gesehen, oder doch wisse, wo sie stecke. Sie sei gestern Abend plötzlich verschwunden, unter dem Vorwand, zu der alten Frau zu gehen, die das Luischen in Kost gehabt, und seitdem nicht wiedergekommen.
Ich suchte ihn zu beruhigen, obwohl ich selbst die schwärzesten Befürchtungen hegte, und fragte ihn, ob er irgendetwas Absonderliches die Tage vorher an ihr bemerkt habe. Nicht das Mindeste, versicherte er steif und fest, während seine großen runden Augen ganz sacht überzufließen anfingen. Es habe gar nichts gefehlt an Appell und Subordination, auch habe sie gegessen und getrunken wie sonst. Nur als sie am Abend vorher eine Ziehharmonika auf der Straße gehört habe, sei sie auf einmal still und kopfhängerisch geworden, obwohl es ein ganz flotter Schottischer gewesen sei, und die nächste Nacht habe sie sich immer herumgewälzt und keinen Schlaf gehabt, auch ein Glas Schnaps, das er ihr deshalb angeboten, nicht trinken wollen. Und so sei er früh zum Exerzieren gegangen, und beim Kaffee habe sie ihn noch ganz freundlich angesehen und gesagt: es gehe ihr nun wieder gut, er brauche sich nicht um sie zu ängstigen, und sie danke ihm auch recht herzlich, dass er immer so gut zu ihr und dem Kinde sei, und wenn das Luischen erst groß geworden, werde es ihm gewiss alles vergelten, mehr als manches leibliche Kind. Da habe er sie noch umgefasst und küssen wollen, aber sie habe den Kopf weggebogen und gebeten: jetzt nicht! Sehr zärtlich sei sie überhaupt nie aufgelegt gewesen. Wie er dann nachmittags wieder in die Kaserne gekommen, habe er nur das Luischen gefunden; Mütterchen sei fortgegangen und habe ihr aufgetragen, den Vater zu grüßen. Und dann habe er Stunde um Stunde gewartet — jetzt glaube er, sie werde nie mehr wiederkommen.
Der arme Mensch trocknete sich den Angstschweiß von der Stirn, und wie ich ihn zum Sitzen nötigte, fiel er förmlich auf den Stuhl nieder, wie wenn er seiner Glieder nicht mächtig wäre. Ich riet ihm, noch bis morgen zu warten, eh er’s anzeige. Was er von der Ziehharmonika gesagt, verscheuchte meinen ersten Argwohn, sie möchte sich ein Leids angetan haben. Doch war es vielleicht weit schlimmer so.
Und richtig, sie kam nicht wieder. Und nach längerer polizeilicher Nachforschung erfuhr der arme betrogene Mensch, dass sie mit ihrem ersten Geliebten irgendwo in Österreich gesehen worden war, wo sie sich Gott weiß wie als fahrende Leute ihr Brot erspielten oder erbettelten. Das Luischen erfuhr nichts davon. Ich ließ es manchmal zu meinem Kinde holen und gelobte mir, Mutterstelle an ihm zu vertreten. Das hatte ich freilich nicht nötig. Der Stiefvater war zärtlicher zu ihm als eine leibliche Mutter, und wenn ich sie zusammen sah, merkte ich, dass schon das Kind anfing, den riesenhaften und tapferen Mann an Subordination unter seinen kindischen Willen zu gewöhnen.
*
Ich sollte aber nicht lange mehr mein stilles Gelübde, mich um das Luischen zu bekümmern, erfüllen, und auch an die unglückliche Mutter, die ich nun freilich nie wiederzusehen glaubte, dachte ich nur noch dann und wann in einer meiner vielen schlaflosen Nächte. Denn mein eigenes Kind, das zu kränkeln anfing, nahm all meine Gedanken in Beschlag. Es war der bitterste Winter meines ganzen Lebens. Im Frühling, als ich eben ein wenig Hoffnung schöpfte, trat plötzlich eine Verschlimmerung ein. Eines Morgens hielt ich mein armes, liebes, letztes Glück kalt und stumm in meinen Armen.
Am Tag nach dem Begräbnis, als ich wie zerbrochen an Leib und Seele tränenlos in meinem verwaisten Zimmer saß, wird plötzlich die Tür aufgerissen, und eine Gestalt stürzt herein, die ich erst erkannte, als sie, vor meine Füße niedergesunken, meine Knie mit beiden Armen umklammerte und in so krampfhaftes Schluchzen ausbrach, dass es mich durch und durch erschütterte. Sie sah gar nicht zu mir auf, sie hatte das Gesicht in meinen Schoß gedrückt, der Hut war ihr vom Kopf gefallen, ihr Haar hatte sich gelöst und hing ihr tief über die Schultern herab. Ich beugte mich zu ihr hinab und streichelte ihr sanft das Haupt. Komm, sagte ich, steh auf! Beruhige dich! Ich danke dir, dass du gekommen bist. Du hast mir wohlgetan. Wir wollen ruhig sein!
Sie aber schluchzte fort, und ich hatte noch immer keine Tränen.
Endlich umfasste ich sie mit beiden Armen, sie zu mir emporzuziehen. Aber sie entriss sich mir sträubend und schnellte, im ganzen Körper zitternd, in die Höhe.
Nein, rief sie, du sollst nicht so gut zu mir sein, du sollst mir nur verzeihen, dass ich mich unterstanden habe, hier bei dir einzudringen, aber ich hielt’s nicht länger aus, obwohl ich weiß, dass ich mich nicht mehr vor dir sehen lassen kann! Ich wollte schon früher kommen, das Kind verpflegen helfen, aber immer hielt mich die Furcht zurück, du würdest mir die Tür weisen. Nein, sage nicht, dass du es nicht getan hättest! Es wäre ganz recht gewesen, ich kann die Augen nicht mehr zu dir aufschlagen. O, ich bin ein armseliges verdammtes Geschöpf, Gott und Menschen müssen mich verabscheuen. Ich habe nur noch einmal dein Gesicht sehen wollen, und jetzt bereu’ ich auch das, denn ich fühle, dass ich’s nicht mehr wert bin — und nun — nun will ich fort. Leb wohl!
Sie raffte ihr Hütchen auf und wollte hinauseilen. Ich hielt sie mit aller Gewalt am Arme fest und stellte mich vor die Tür.
Schwarze, sagte ich, meine arme Schwarze, es ist dir schlecht gegangen, ich seh’ es an deinen Augen, du bist krank —
Nein, rief sie, schlimmer als krank, ich bin toll! Erschrick nicht, Goldene, ich habe meine fünf Sinne beisammen, aber es rast und tobt etwas in mir, ich habe einen bösen Geist in meinem Blut, der regiert mich, dass ich alles tun muss, was er will. Er hat mich fortgerissen von meinem guten Kind und dem braven Menschen, der ihm ein guter Vater sein wollte. Wie ich die Musik draußen auf der Straße hörte, da war’s aus. Die Langeweile, das Stillsitzen, die Bravheit und Ehrbarkeit und Appell und Subordination — ich meinte, ich müsste geradezu ersticken, wenn ich das noch länger ertrüge. Ich wusste, dass es mein Unglück war, wenn ich fortliefe; er
Uwagi (0)