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wollen. In der Stadt wirst du es wegwerfen. Was hast du auch daran?

Ich griff begierig darnach. Ich selbst gab ihr ein weißes seidenes Tüchlein, das ich gegen den rauen Wind umzubinden pflegte und das ihr in die Augen gestochen hatte. Ich sah, wie sie sich darüber freute. Nur schade, sagte sie, dass ich es unter dem Hemd tragen muß; denn wenn die Frau es sähe, würde es Lärm geben. Also reist ihr wirklich morgen früh? Ich kann dir nicht einmal Lebewohl zuwinken; ich muss schon um fünf ins nächste Dorf, um Setzlinge zu holen, die der Vater dort gekauft hat. Also müssen wir schon heute Abschied nehmen.

Bei diesen Worten sah sie sich forschend nach der Hütte um, die ganz dunkel und lautlos am Ende des Gartens lag, und plötzlich klomm sie gelenkig wie eine Katze an dem Zaun empor und schwang sich drüben zu mir hinab, dass ich fast erschrak, als sie plötzlich mich mit ihren nackten Armen umfasste und herzlich auf die Lippen küsste. Vergiss mich nicht, Goldene! sagte sie. Ich weiß, du wirst es nicht tun, du bist gut. Und ich wünsche dir — nein, ich wünsche dir nichts. Jeder weiß allein am besten, was er sich wünschen soll. Und komme wieder, wenn der Wald erst grün ist und unsere Rosen blühen. Bis dahin werde ich’s wohl noch aushalten.

Wieder drückte sie mich so fest an sich, dass ich kein Wort erwidern konnte. Dann schwang sie sich ebenso behende über das Stacket zurück, nur dass ihr Röckchen hängenblieb und einen langen Schlitz bekam. Darüber hörte ich sie noch lachen, dann flog sie davon wie ein Pfeil, und ich stand noch eine ganze Weile, das Päckchen mit den Haaren in der Hand, ordentlich sentimental; ich glaube gar, ich habe verweinte Augen gehabt, als ich ins Haus zurückkehrte.

Doch merkte niemand, dass mir etwas Absonderliches begegnet war, und auch in den nächsten Monaten, die ich in der Stadt zubrachte, hütete ich mein Geheimnis so sorgfältig wie das einer verbotenen Liebe. Ich verglich im Stillen meine übrigen sogenannten Freundinnen mit diesem armen Mädchen und fand, dass sie alle von ihr in Schatten gestellt wurden. Was waren alle anerzogenen konventionellen Liebenswürdigkeiten, alle Tugenden und Talente unserer Treibhauskultur gegen den frischen Duft und Hauch dieser wildaufgewachsenen Feldblume? Ich hatte oft eine so heftige Sehnsucht nach meiner geliebten Schwarzen, dass ich Tag und Nacht von ihr träumte, oft so lebhaft, als hörte ich ihr Lachen dicht an meinem Ohr und fühlte den Druck ihrer warmen Lippen auf den meinen.

Das einzige Linderungsmittel, wenn man entbehrt, was man liebt: sich schwarz auf weiß sein Herz auszuschütten, war mir auch versagt. Einmal, gleich in der ersten Woche hatte ich ihr geschrieben. Es dauerte eine Weile, bis die Antwort kam, über deren Anblick ich mich unsinnig freute, trotz des groben Papiers, der unbeholfenen Schrift und einer seltsamen Orthographie. Doch war jedes Wort ihr so ganz ähnlich, klar und fest, und dazwischen allerlei lustige Einfälle, auch die Versicherung, dass sie oft an mich denke und mir sehr gut sei, so dass ich überglücklich war und den Brief in das Kästchen verschloss, wo ich meine kleinen Schmucksachen verwahrte. Zum Schluß aber hatte sie mich leider gebeten, ihr nicht mehr zu schreiben; es mache Aufsehen, wenn sie einen Brief bekomme, und „die Frau” habe diesen ersten durchaus zu lesen verlangt, was sie aber um keinen Preis zugegeben hätte. Sie möge immerhin glauben, der Brief komme von einem heimlichen Schatz; es sei auch gar nicht so weit davon, da ihre „Goldene” ihn geschrieben habe.

Nun verging die nächste Zeit freilich langsam genug für meine Ungeduld; endlich aber, zu Anfang des September, kam der Tag des Wiedersehens, und als unser Wagen vor dem Landhaus hielt, sah ich unter der herbeigelaufenen Dorfbevölkerung auch das rote Kopftuch meiner Freundin, das sich aber sofort wieder zurückzog, nachdem wir nur einen zärtlichen Augenwink miteinander getauscht hatten. Erst am dunklen Abend fanden wir uns zusammen, diesmal nicht durch den Zaun getrennt, sondern auf der Bank am Weiher. Ich hatte so viel für sie auf dem Herzen, dass ich sie kaum zu Worte kommen ließ. Sie ließ mich reden, lachte nur dann und wann und sagte, ich sei nicht recht klug, dass ich so viel Wesens von ihr mache. Sie selbst hatte in ihrem eintönigen Tagewerk nicht viel erlebt, nicht einmal die Bücher angesehen, die ich ihr zurückgelassen. Auch die vielen kleinen Geschenke, die ich ihr mitgebracht, nahm sie kühler an, als ich mir vorgestellt, da ich sie alle sorgfältig daraus berechnet hatte, dass sie sie brauchen und hübsch finden konnte. Sie war überhaupt, obwohl herzlich und sogar zärtlich zu mir, doch ein wenig verändert: noch gewachsen über den Sommer und voller geworden, und auch in ihrer Stimmung ernsthafter und sozusagen gereifter als damals. Als ich es ihr sagte, wollte sie nichts davon wissen. Ich hatte aber feine Ohren und hörte sie ein paarmal einen Seufzer unterdrücken, was mir genug zu denken gab.

Als ich am Abend zu Bette ging und die gute Frau Sengebusch mir in mein Schlafzimmer leuchtete, fragte ich sie so ganz obenhin, wie es denn bei unseren Nachbarsleuten stehe, ob die Gärtnersfrau ihrer Tochter noch immer das Leben sauer mache und ob keine Aussicht sei, dass das arme Mädchen einen Mann bekomme, der sie aus dieser Sklaverei erlöse. — Daran sei weniger zu denken als je, sagte die Alte. Es gehe mit den Martinschen eher zurück als vorwärts; der Mann habe sich beim Pfropfen eines Baumes in die Hand geschnitten, und die Wunde sei bösartig geworden, so dass er noch immer nicht recht sein Geschäft betreiben könne. Darum würde er die Tochter nicht hergeben, auch wenn einer um sie freien wollte. Zum Glück sei gerade in der schlimmsten Zeit, wie der Doktor davon sprach, man werde am Ende die Hand abnehmen müssen, eine Hilfe gekommen, ein junger Bursch aus dem Thüringischen, eine Art Strolch und Tagedieb, der auf den Dörfern herumgestreunt und auf einer großen Ziehharmonika gespielt habe. Der habe auch vor dem Gärtnerhaus zu musizieren angefangen, und da sei die Martinsche herausgekommen und habe ihn weggescholten: er solle lieber ehrliche Arbeit tun, als wie ein Zigeuner herumlungern. Da habe der Bursch gelacht und gesagt: er möchte wohl arbeiten, wenn er nur wüsste, was und wo. Der Mann aber, wie er das gehört, sei herausgeschlichen in seinem Fieber und habe gesagt: wenn das sein Ernst sei, Arbeit wolle er ihm wohl anweisen. Da sei der halbe Garten noch umzurajohlen und die neuen Pflanzungen zu machen für das Sommergemüse, und wenn er auch kein gelernter Gärtner sei, nur anstellig und fleißig, werde er sich schon einarbeiten. Dagegen habe die Frau sich erst sehr ungebärdig gestellt wegen des Tagelohns und gesagt, das faule Ding, die Jakobe, werde es schon allein zwingen. Der Mann aber sei diesmal fest geblieben, und seitdem hätten sie den Hannickel, wie der Thüringer genannt werde, als ihren Gehilfen, und er lasse sich recht ordentlich an, und wenn Feierabend sei, spiele er ganz munter seine lustigen Lieder und Tänze, und alle im Dorf möchten ihn gut leiden.

Und die Jakobe? fragte ich.

O, die ist ein braves Mädchen, die sieht gar nicht nach ihm hin, die arbeitet jetzt für zwei, als ob sie zeigen wollte, dass der hergelaufene fremde Geselle eigentlich doch überflüssig sei. Und dann hält auch die Mutter sie noch schärfer im Auge, und der Hannickel geht jeden Abend ins Dorf in seine Schlafstelle, und niemand kann ihm was nachsagen.

So erzählte die Frau Sengebusch, und ich weiß nicht, warum mir die Sache trotz alledem nicht recht gefallen wollte. Am nächsten Tage machte ich mir an dem Stacket zu schaffen, obwohl ich meine Schwarze dort nicht erwartete, und sah auch bald den fremden Burschen, der ganz ehrbar und eifrig bei seiner Arbeit war und nicht einmal zu mir hinüberschielte. Er war nicht viel über Mittelgröße und, soweit ich mit meinen blöden Augen erkennen konnte, ein wohlgewachsener junger Mensch, der einen kleinen kraushaarigen Kopf aus breiten Schultern trug. Ein verregnetes schwarzes Hütchen mit einer Krähenfeder trug er auf dem linken Ohr, hatte eine verschossene Sammetjacke an mit bleiernen Knöpfen, ein kurzes Pfeifchen hing ihm zwischen den Zähnen. Dabei schleppte er die schweren Gießkannen so leicht, dass ihm noch Atem blieb, einen Ländler zu pfeifen.

Meine Schwarze trat gerade aus dem Hause und brachte ihm sein Frühstück. Sie stellte es auf eine umgestürzte, Karre, die in dem breiten Mittelweg lag, und rief ihm, dass er kommen solle. Er sah gar nicht nach ihr um, hörte auch nicht auf zu pfeifen und nickte nur vor sich hin mit dem Kopfe. Sie blieb stehen, als ob sie ihn noch einmal anrufen wollte, dann wendete sie sich kurz ab und ergriff eine Harke, um auf dem nächsten Beet zu arbeiten. Mich sah sie nicht, da ich mich hinter die Hecke geduckt hatte. Mir klopfte aber das Herz, als wäre ich einem gefährlichen Geheimnis auf der Spur. Und da ich noch eine Viertelstunde durch den Zaun gesehen hatte, ohne etwas Bedenkliches zu entdecken, beschloß ich, am Abend meine Freundin geradezu zu befragen.

Wonach aber eigentlich? Ob sie ein heimliches Einverständnis mit dem Landstreicher, dem Knecht ihres Vaters habe? Das schien mir doch selbst zu abenteuerlich, um es für möglich zu halten. Woher kam mir nur der Verdacht, dass der fremde Mensch und die Seufzer meiner Schwarzen irgendetwas mit einander zu schaffen hätten?

Auch lachte sie mir frei ins Gesicht, als ich wirklich Abends hinter dem Stacket damit herauskam: sie möchte sich vor dem fremden Gesellen in Acht nehmen; es sei etwas in seinem Wesen, das mir unheimlich vorkomme. — Du hast ihn noch nicht spielen hören, Goldene, erwiderte sie. Dann würdest du nichts Schlimmes von ihm denken. Böse Menschen haben keine Lieder. Warte nur bis morgen Abend, da soll er seine Harmonika mitbringen auf die Wiese hinter eurem Baumgarten. Du wirst dann schon anders von ihm reden.

Das geschah denn auch, und wirklich, obwohl ich zu musikalisch war, um die scharfen, unreinen Töne dieses Instruments nicht zu verabscheuen, — die Art, wie er es behandelte, war so eigen, so leidenschaftlich und verwogen, dazwischen manchmal — Gott weiß, wie er es fertigbrachte! — so einschmeichelnd sanft und elegisch, dass ich es meiner Freundin nicht ableugnen konnte, er verstehe seine Kunst meisterlich. Ich hatte sie während des Konzertes, das sonst kein weiteres Publikum hatte, gespannt beobachtet. Die Augen hatte sie halb zugedrückt, ihre Brust atmete schwer, und die Flügel ihrer kräftigen Nase zitterten. Das gefiel mir gar nicht. Schwarze, sagte ich, glaub mir, du tätest besser, ihm nicht oft zuzuhören. Er spielt dich um deine Seele.

Meine Seele ist mein, sagte sie sehr heftig und wandte sich von mir ab. Wenn ich die verspielen wollte, sollte mich niemand daran hindern. Aber es hat keine Gefahr, er denkt gar nicht an mich; und ich — ich denke an niemand auf der Welt als an meinen Vater und an dich, Goldene.

Sie nahm meinen Arm und zog mich, ohne dem immer noch Fortspielenden eine Gutenacht zuzurufen, von der Parktür weg in die nächtlichen Laubgänge. Plötzlich stand sie still. Horch, sagte sie, das ist sein Leibstück! Es ist wirklich, wie du sagst: der Böse steckt in seinem Spiel. Weißt du was? Du musst dich jetzt in der Stube hinsetzen und auf dem Klavier mir was vorspielen. Willst du das? Willst du den Teufel beschwören, Goldene?

Sie lachte und küßte mich, und wir liefen dem Hause zu. Ich setzte mich wirklich an den Flügel und spielte das schönste, sanfteste Adagio, das ich auswendig wusste. Als ich fertig war und an das Parterrefenster trat, vor dem sie gestanden hatte, und fragen wollte, ob die Teufelsbeschwörung gelungen sei, war sie verschwunden.

*

Wir blieben vier Wochen draußen, und wenn ich an diese Zeit zurückdenke, ist mir nichts davon lebendig geblieben, als das allabendliche verstohlene Geplauder mit meiner Schwarzen. Was die Tage sonst brachten, war mir völlig gleichgültig. Aus unseren Unterhaltungen könnte ich noch manches wörtlich wiederholen; ja, der Ton, womit sie es sagte, klingt mir noch heute im Ohr. Ihnen würde manches sehr kindisch und unbedeutend erscheinen. Mir, da ich sie liebte, hatte es

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