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unterschieden, so dass Freundschaft eine zahmere Liebe wäre, die allenfalls auch eine Teilung des geliebten Gegenstandes ertrüge, sondern nur darin liegt der Unterschied, dass Liebe nach einer Hingabe mit Leib und Seele trachtet, Freundschaft nur unter gleichen Geschlechtern besteht. Im Übrigen ist sie ganz so eigensinnig und unzurechnungsfähig beim Ergreifen ihres Gegenstandes, wie die verliebte Liebe selbst, ebenso ausschließlich, so eifersüchtig, so völlig unbekümmert, ob ihr Gegenstand gut oder böse sei. Nur dass im letzteren Falle Freundschaft ebenso sehr wie Liebe, die sich an einen Unwürdigen gefesselt fühlt, zu einem traurigen Verhängnis wird, wovon freilich die schönen Seelen, die bei der „Wahl” ihrer Freunde auf einen guten Charakter und reine Sitten sehen, nicht die leiseste Ahnung haben!

Sie schwieg hierauf wieder eine ganze Weile. Es war so still im Zimmer, dass ich die Atemzüge vernehmen konnte, die sich nach dem gewaltsamen Ausbruch ihres Inneren nur langsam beruhigten. Keinen Augenblick war ich im Zweifel darüber, dass diese im Munde einer Frau doppelt seltsam klingende schroffe Doktrin einer eigenen schweren Lebenserfahrung entsprungen sei. Da ich aber sah, wie tief die Erinnerung sie aufregte, wagte ich nicht weiter zu forschen. Und obwohl es mir auf der Zunge schwebte zu sagen, dies alles sei nur insofern wahr, als man etwa auch die Art und Eigenheit einer Pflanze in ihrer höchsten Blüte finde, während sie doch auch auf allen Stufen ihrer Entwicklung schon dieselbe Pflanze sei, hütete ich mich doch, die wundersame Stimmung, in die meine alte Freundin versunken war, mit klügelnden Einwürfen zu stören. Sie aber, als hatte sie in meine verschwiegenen Gedanken hineingehorcht, sagte auf einmal mit ganz veränderter Stimme, sanft und heiter, wie nach einem überstandenen Sturm:

Sie haben Recht, wenn Sie sich wundern, dass ich so alt geworden bin und noch immer alles auf die Spitze treibe. Man hat mir das schon in meinen jüngsten Jahren vorgeworfen und mich getröstet, mit der Zeit werde sich’s geben. Die Zeit hat auch mir Vieles gebracht und genommen — über gewisse Axiome meines Herzens hat sie keine Gewalt gehabt. Noch heut, wenn ich an die einzige Freundin meines Lebens zurückdenke, — was werden Sie sagen, lieber Freund, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich von allen Menschen, die der Tod mir genommen, keinen einzigen lieber auferweckte als dieses ewig unvergessene und unverschmerzte Wesen, das gar kein Ausbund trefflicher Eigenschaften war und mir viel Herzeleid gemacht hat? Werden Sie nicht an mir selbst irre werden, wenn Sie hören, dass die, die ich am leidenschaftlichsten geliebt und betrauert habe, eine schlechte Tochter war, eine schlechte Mutter, eine bestrafte Diebin, eine zügellose Landstreicherin, ja etwas Schlimmeres, — das Schlimmste, was ein Weib werden kann und was ihr von ihrem eigenen Geschlecht am bittersten verdacht zu werden pflegt? Setzen Sie sich dort auf den Stuhl meiner Camilla. Sie müssen diese Geschichte hören; wenn Sie Ihnen missfällt, nehmen Sie es hin als Buße dafür, dass Sie mir eine Abhandlung über die Freundschaft empfohlen haben, in der von all diesen Abgründen des Menschenherzens auch nicht das leiseste Wort zu lesen ist.

*

Sie wissen, dass ich nicht gerade eine glückliche Jugend gehabt habe: unschön, frühreif, von nachdenklicher Gemütsart, die alles viel zu schwer nahm und mich in den Augen der Menschen, welche Kinder als lebendige Spielsachen betrachten, nicht eben liebenswürdig erscheinen ließ. Und so verschloss ich mich früh in mir selbst und gelangte halb zu einer vorzeitigen, altklugen Resignation, in der ich mich endlich fast behaglich fühlte, zumal ich wohl bemerkte, dass ich dadurch über gewisse Täuschungen und kindische Leiden hinausgehoben wurde, die der ganz naiven, in den Tag hineinlachenden Jugend nicht erspart bleiben.

Ich war fünfzehn Jahre und eben eingesegnet worden, als ein alter Oheim meiner Mutter starb und ihr ein Landhaus vermachte, von dem wir bisher viel hatten reden hören, ohne es je zu betreten. Der alte Herr hatte dort ganz zurückgezogen die letzten Jahre seines Lebens zugebracht; es war seine Marotte gewesen, aus diesem kahlen Stück Land etwas zu machen, was er als seine eigenste Schöpfung, einen Triumph der Kunst über die Natur betrachten durfte. Doch immer noch war ihm sein Park nicht ansehnlich genug erschienen, im Garten fehlte es immer noch an dem und jenem, womit er die Freunde, die ihn wegen seines Eigensinns verspottet hatten, überraschen wollte, und so überraschte ihn endlich der Tod, ehe er das seit Jahren verheißene Fest der Einweihung hatte veranstalten können. Seine Nächsten betraten den großen Gartensaal erst, als der Sarg des Besitzers unter den schönsten Gewächsen des Treibhauses darin aufgebahrt war.

Nach der Beerdigung, die auf dem ärmlichen Kirchhof des nahen Dorfes stattfand, blieben nur meine Eltern und ich in den verödeten Räumen zurück. Es war zu Ende April, die Witterung noch nicht zu einem längeren Landaufenthalt verlockend. Sie wollten nur von dem ererbten Gut Besitz ergreifen und für ein späteres Wiederkommen allerlei Anordnungen treffen.

Als ich zum ersten Mal allein durch den Garten schlenderte, den nach allen Seiten hohe Heckenwände gegen das umliegende flache und unbewaldete Land abgrenzten, bemerkte ich an einer Stelle, wo die Sträucher noch kein Laub angesetzt hatten, ein hohes Stacket, das unseren Grund und Boden gegen jedes Eindringen von außen schützte. Ich trat ohne sonderliche Neugier näher und spähte durch die schlanken Stämmchen, aus denen der Zaun zusammengefügt war, auf das nachbarliche Gebiet hinaus. Es gehörte, wie ich wusste, einem Handelsgärtner, der sich klugerweise hier angesiedelt hatte, weil die Lage neben dem herrschaftlichen Besitztum allerlei Vorteile, besonders in wasserarmen Sommern, versprach. Denn der Onkel war ein guter Mann gewesen und hatte von seinem Überfluss gern seinen Nebenmenschen zugutekommen lassen.

Der lange, schmale Streifen Landes, in Gemüsebeete abgeteilt und hie und da mit Fluchtbäumen bepflanzt, sah in dieser Jahreszeit durstig genug aus, und das Häuschen vollends, das am Ende des Grundstückes unter einem schweren grauen Strohdach fast in den Erdboden zu versinken schien, machte den Eindruck großer Verwahrlosung. Ich wollte mich darum schon wieder abwenden, als eine Mädchengestalt, die eifrig mit dem Umgraben eines Beetes beschäftigt war, auf einmal sich aufrichtete und den Kopf nach mir umwandte. Unter dem zerrissenen, durch manchen Regenguss unförmlich gewordenen Strohhut sahen mich zwei Augen an, die bei dem ersten Blick eine sonderbare Gewalt über mich ausübten.

Das übrige Gesicht konnte ich bei meiner Kurzsichtigkeit nicht sogleich unterscheiden. Ich sah aber, dass die junge Gärtnerin aufs Armseligste gekleidet war. Trotz des rauen Aprilwindes trug sie nur ein ärmelloses Leibchen und einen gestickten rotwollenen Unterrock, der nur eben über die Knie reichte, die nackten Füße steckten in Pantinen — Sie kennen diesen Ausdruck für die groben Lederschuhe mit Holzsohlen, die bei uns in der Mark getragen werden, — ihre Arme waren bis über die Ellbogen bloß. Und doch war Etwas in der schlanken, rüstigen Gestalt, was mich fesselte und zu einem freundlichen Nicken bewog.

Dieses Nicken wurde nicht erwidert; aber da in dem dunklen Gesicht plötzlich etwas schimmerte wie eine Reihe blanker Zähne, merkte ich, dass das Mädchen mich nicht mit feindseligen Augen betrachtete. Einsam und müßig, wie ich war, fühlte ich die größte Lust, mit meiner jungen Nachbarin nähere Bekanntschaft zu machen. Ich winkte ihr daher herablassend zu, dass sie an den Zaun herankommen möchte, worauf sie sich mit dem bloßen Arm den Schweiß von der Stirn wischte, so dass der Hut ihr in den Nacken fiel; darauf warf sie einen forschenden Blick nach dem Häuschen zurück und kam behutsam mit ihren schweren Schuhen zwischen den frisch bepflanzten Beeten zu mir herangestapft.

Nun konnte ich sie genauer betrachten und fand sie weit hübscher, als ich aus der Ferne geglaubt, Ihre Farbe war auffallend braun, Haar und Augenbrauen kohlschwarz, aber die funkelnden kleinen Augen von einem ganz hellen Grau, und das Weiße um den Augenstern hatte einen bläulichen Glanz, Ihr Obergesicht mit der schlanken geraden Nase war vollkommen schön, nur die untere Hälfte, wenn sie lachte, verdarb den Eindruck trotz der schönen Zähne, da der Mund dann einen breiten, wilden und sinnlichen Zug bekam, der sofort verschwand, wenn sie im Trotz oder Unwillen die Lippen zusammenpresste.

Du bist die Tochter des Gärtners? fragte ich.

Sie nickte, indem sie, beide Hände auf den Spaten gestemmt, mir gegenüber stand und mich ruhig vom Kopf bis zu den Füßen musterte.

Wie heißest du?

Jakobine. Die Mutter nennt mich Jakobe, der Vater „feine Schwarze”; im Dorf heißen sie mich die schwarze Jakobe. Und wie heißest du?

Ich hatte mir als junge Aristokratin nichts dabei gedacht, sie zu duzen. dass sie sich aber ebenso unbedenklich dieselbe Freiheit nahm, verletzte mich ein wenig. Doch konnte ich ihrem ruhigen Blick nicht ausweichen und sagte ihr nach einigem Zögern meinen Namen.

Wirst du länger hier bleiben? fragte sie weiter.

Ich sagte, dass wir für diesmal nur einige Tage uns aufhalten würden, aber später im Jahr wiederzukommen gedächten.

Sie schüttelte den Kopf. Warum wollt ihr wiederkommen? sagte sie. Hier ist es nicht schön. Wenn ich in der Stadt lebte, käme ich nie wieder heraus, auch nicht, wenn ich in eurem schönen Haus wohnen könnte. Hier ist es nicht schön! wiederholte sie und stieß den Spaten mit einer verächtlichen Gebärde in den harten Grund.

Du bist immer allein? fragte ich, da mich der traurige Ton ihrer Stimme rührte. Hast du keine Geschwister? Gibt es im Dorf keine Mädchen von deinem Alter, mit denen du Freundschaft halten könntest? Wie alt bist du denn?

Im Juni werd’ ich sechzehn. Geschwister hab ich keine, ich möcht’ auch keine haben. Es ist genug, wenn ein Kind im Haus es schlecht hat. Und die im Dorf —

Sie rümpfte verächtlich die Lippen. Ihr seltsames Wesen nahm mich mehr und mehr gefangen.

Jakobine, sagte ich, ich habe auch keine Geschwister und bin hier ganz allein. Wenn du manchmal ein bißchen Zeit hättest, möchte ich gern mit dir plaudern, du müsstest aber zu mir herüberkommen, denn ich darf nicht allein aus dem Hause oder gar ins freie Feld. Willst du?

Ich sah, wie sie überlegte. Ich muss den ganzen Tag arbeiten, sagte sie, und jetzt erst fiel mir auf, welch eine raue Stimme sie hatte. Wenn ich zu früh Feierabend machte, kriegt’ ich es mit der Mutter. Sie ist immer froh, wenn sie mich beim Vater verklagen kann, weil der mich — lieber hat als sie. Und er fürchtet sich vor ihr und läßt sich’s nicht merken, dass er mir gern was Besseres gönnte. Ja, du — du hast’s gut! Aber laß die Zeit nur vergehen; eines Tages —

Sie vollendete den Satz nicht, sondern hob den Spaten mit ihrem kräftigen braunen Arm und schleuderte ihn weit von sich. In diesem Augenblick hörte ich eine Weiberstimme vom Hause her rufen: Jakobe! Wo steckst du denn? Bist du schon fertig? — Ich sah nur undeutlich ein kleines Weibchen, das aus der Tür des Gärtnerhauses getreten war und heftig mit den Armen durch die Luft fuhr. Hörst du wohl? sagte das Mädchen, nicht einmal die paar Augenblicke gönnt sie mir. Aber übermorgen ist Sonntag — da komme ich nachmittags zu dir in den Baumgarten (sie meinte den Park) — da, wo die weiße Figur an dem Teiche steht. Aber du — du wirst bis dahin die Schwarze längst vergessen haben.

Ich beteuerte ihr, dass ich getreulich auf sie warten würde, und sah noch, wie ein Lächeln über ihr Gesicht flog, das ihr vollends mein Herz gewann. Dann nickte sie mir flüchtig zu, ging ihren Spaten aufzuheben und kehrte langsam zu ihrer Arbeit zurück, ohne der Mutter, die noch eine Weile fortkeifte, ein einziges Wort zu erwidern.

*

Es wunderte mich selbst, dass diese neue Bekanntschaft mir so wichtig war und dass ich dem Sonntagnachmittag in so ungeduldiger Auslegung entgegensah. Zu Hause sagte ich Niemand von meinem Begegnen mit der schwarzen Jakobe. Nur mit ganz gleichgültiger Miene erkundigte ich mich bei der alten Hausverwalterin nach den Gärtnersleuten. Seit vier Jahren lebten sie auf ihrem Grundstück, wollten aber nicht recht gedeihen. Die Frau sei um einige Jahre älter als der Mann und verbittere ihm das Leben mit ganz grundloser Eifersucht; ja sogar die eigene Tochter misshandle sie, weil sie es nicht ertragen könne, dass dies einzige Kind des Vaters Liebling sei. Das Mädchen wachse wild auf und müsse den Knecht ersetzen, da es keiner auf die

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