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darauf der Tempelherr. NATHAN
Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht 
Mich seine rauhe Tugend stutzen. Dass 
Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen 
Soll machen können! — Ha! er kommt. — Bei Gott! 
Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl, 
Den guten, trotz’gen Blick! den drallen Gang! 
Die Schale kann nur bitter sein: der Kern 
Ist’s sicher nicht. — Wo sah ich doch dergleichen? — 
Verzeihet, edler Franke ... 
  TEMPELHERR
Was? 
  NATHAN
Erlaubt... 
  TEMPELHERR
Was, Jude? was?  
  NATHAN
Dass ich mich untersteh, 
Euch anzureden. 
  TEMPELHERR
Kann ich’s wehren? Doch 
Nur kurz!  
  NATHAN
Verzieht, und eilet nicht so stolz, 
Nicht so verächtlich einem Mann vorüber, 
Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt. 
  TEMPELHERR
Wie das? — Ah, fast errat ich’s. Nicht? Ihr seid ... 
  NATHAN
Ich heiße Nathan, bin des Mädchens Vater, 
Das Eure Großmut aus dem Feu’r gerettet; 
Und komme ... 
  TEMPELHERR
Wenn zu danken: — spart’s! Ich hab 
Um diese Kleinigkeit des Dankes schon 
Zu viel erdulden müssen. — Vollends Ihr, 
Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wusst ich denn 
Dass dieses Mädchen Eure Tochter war? 
Es ist der Tempelherren Pflicht, dem Ersten 
Dem Besten beizuspringen, dessen Not 
Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem 
In diesem Augenblicke lästig. Gern, 
Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, 
Es für ein andres Leben in die Schanze 
Zu schlagen: für ein andres — wenn’s auch nur 
Das Leben einer Jüdin wäre. 
  NATHAN
Groß! 
Groß und abscheulich! — Doch die Wendung lässt 
Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet 
Sich hinter das Abscheuliche, um der 
Bewundrung auszuweichen. — Aber wenn 
Sie so das Opfer der Bewunderung 
Verschmäht, was für ein Opfer denn verschmäht 
Sie minder? — Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd 
Und nicht gefangen wäret, würd ich Euch 
So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit 
Kann man Euch dienen? 
  TEMPELHERR
Ihr? Mit nichts. 
  NATHAN
Ich bin 
Ein reicher Mann. 
  TEMPELHERR
Der reichre Jude war 
Mir nie der bessre Jude. 
  NATHAN
Dürft Ihr denn 
Darum nicht nützen, was dem ungeachtet 
Er Besseres hat? nicht seinen Reichtum nützen? 
  TEMPELHERR
Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden, 
Um meines Mantels willen nicht. Sobald 
Der ganz und gar verschlissen, weder Stich 
Noch Fetze länger halten will: komm ich 
Und borge mir bei Euch zu einem neuen 
Tuch oder Geld. — Seht nicht mit eins so finster! 
Noch seid Ihr sicher; noch ist’s nicht so weit 
Mit ihm. Ihr seht, er ist so ziemlich noch 
Im Stande. Nur der eine Zipfel da 
Hat einen garst’gen Fleck: er ist versengt. 
Und das bekam er, als ich Eure Tochter 
Durchs Feuer trug. 
  NATHAN
der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet
Es ist doch sonderbar, 
Dass so ein böser Fleck, dass so ein Brandmal 
Dem Mann ein bessres Zeugnis redet, als 
Sein eigner Mund. Ich möcht ihn küssen gleich 
Den Flecken! — Ah, verzeiht! — Ich tat es ungern. 
  TEMPELHERR
Was?  
  NATHAN
Eine Träne fiel darauf. 
  TEMPELHERR
Tut nichts! 
Er hat der Tropfen mehr. — (Bald aber fängt 
Mich dieser Jud’ an zu verwirren.) 
  NATHAN
Wärt 
Ihr wohl so gut und schicktet Euerm Mantel 
Auch einmal meinem Mädchen? 
  TEMPELHERR
Was damit? 
  NATHAN
Auch ihren Mund auf diesen Fleck zu drücken. 
Denn Eure Kniee selber zu umfassen, 
Wünscht sie nun wohl vergebens.  
  TEMPELHERR
Aber, Jude — 
Ihr heißet Nathan? — Aber, Nathan — Ihr 
Setzt Eure Worte sehr — sehr gut — sehr spitz — 
Ich bin betreten — Allerdings — ich hätte ... 
  NATHAN
Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find 
Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder, 
Um höflicher zu sein. — Das Mädchen, ganz 
Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz 
Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt — 
Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge; 
Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen. 
Auch dafür dank ich Euch — 
  TEMPELHERR
Ich muss gestehn, 
Ihr wisst, wie Tempelherren denken sollten. 
  NATHAN
Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß, 
Weil es die Ordensregeln so gebieten? 
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß, 
Dass alle Länder gute Menschen tragen. 
  TEMPELHERR
Mit Unterschied doch hoffentlich?  
  NATHAN
Jawohl; 
An Farb’, an Kleidung, an Gestalt verschieden. 
  TEMPELHERR
Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.  
  NATHAN
Mit diesem Unterschied ist’s nicht weit her. 
Der große Mann braucht überall viel Boden; 
Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen 
Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir, 
Find’t sich hingegen überall in Menge. 
Nur muss der eine nicht den andern mäkeln. 
Nur muss der Knorr den Knuppen hübsch vertragen. 
Nur muss ein Gipfelchen sich nicht vermessen, 
Dass es allein der Erde nicht entschossen. 
  TEMPELHERR
Sehr wohl gesagt! — Doch kennt Ihr auch das Volk, 
Das diese Menschenmäkelei zuerst 
Getrieben? Wisst Ihr, Nathan, welches Volk 
Zuerst das auserwählte Volk sich nannte? 
Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht hasste, 
Doch wegen seines Stolzes zu verachten 
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes, 
Den es auf Christ und Muselmann vererbte, 
Nur sein Gott sei der rechte Gott! — Ihr stutzt, 
Dass ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede? 
Wenn hat, und wo die fromme Raserei, 
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern 
Der ganzen Welt als besten aufzudringen, 
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr 
Gezeigt, als hier, als jetzt? Wem hier, wem jetzt 
Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch 
Sei blind, wer will! — Vergesst, was ich gesagt, 
Und lasst mich!  
 
Will gehen. NATHAN
Ha! Ihr wisst nicht, wie viel fester 
Ich nun mich an Euch drängen werde. — Kommt, 
Wir müssen, müssen Freunde sein! — Verachtet 
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide 
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind 
Wir etwa unser Volk? Was heißt denn Volk? 
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, 
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch 
Gefunden hätte, dem es g’nügt, ein Mensch 
Zu heißen! 
  TEMPELHERR
Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan! 
Das habt Ihr! — Eure Hand! — Ich schäme mich, 
Euch einen Augenblick verkannt zu haben. 
  NATHAN
Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine 
Verkennt man selten.  
  TEMPELHERR
Und das Seltene 
Vergisst man schwerlich. — Nathan, ja, 
Wir müssen, müssen Freunde werden. 
  NATHAN
Sind 
Es schon. — Wie wird sich meine Recha freuen! — 
Und ah! welch eine heitre Ferne schließt 
Sich meinen Blicken auf! — Kennt sie nur erst! 
  TEMPELHERR
Ich brenne vor Verlangen. — Wer stürzt dort 
Aus Eurem Hause? Ist’s nicht ihre Daja? 
  NATHAN
Jawohl. So ängstlich? 
  TEMPELHERR
Unsrer Recha ist 
Doch nichts begegnet? 
  SECHSTER AUFTRITT
Die Vorigen und Daja eilig. DAJA
Nathan! Nathan! 
  NATHAN
Nun? 
  DAJA
Verzeihet, edler Ritter, dass ich Euch 
Muss unterbrechen. 
  NATHAN
Nun, was ist’s? 
  TEMPELHERR
Was ist’s? 
  DAJA
Der Sultan hat geschickt. Der Sultan will 
Euch sprechen. Gott, der Sultan!  
  NATHAN
Mich? Der Sultan? 
Er wird begierig sein, zu sehen, was 
Ich Neues mitgebracht. Sag nur, es sei 
Noch wenig oder gar nichts ausgepackt. 
  DAJA
Nein, nein; er will nichts sehen; will Euch sprechen, 
Euch in Person, und bald, so bald Ihr könnt. 
  NATHAN
Ich werde kommen. — Geh nur wieder, geh!  
  DAJA
Nehmt ja nicht übel auf, gestrenger Ritter. — 
Gott, wir sind so bekümmert, was der Sultan 
Doch will. 
  NATHAN
Das wird sich zeigen. Geh nur, geh! 
  SIEBENTER AUFTRITT
Nathan und der Tempelherr. TEMPELHERR
So kennt Ihr ihn noch nicht? — Ich meine, von 
Person.  
  NATHAN
Den Saladin? Noch nicht. Ich habe 
Ihn nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen. 
Der allgemeine Ruf sprach viel zu gut 
Von ihm, dass ich nicht lieber glauben wollte, 
Als sehn. Doch nun — wenn anders dem so ist — 
Hat er durch Sparung Eures Lebens ... 
  TEMPELHERR
Ja; 
Dem allerdings ist so. Das Leben, das 
Ich leb, ist sein Geschenk. 
  NATHAN
Durch das er mir 
Ein doppelt, dreifach Leben schenkte. Dies 
Hat alles zwischen uns verändert; hat 
Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das 
Mich seinem Dienst auf ewig fesselt. Kaum, 
Und kaum kann ich es nun erwarten, was 
Er mir zuerst befehlen wird. Ich bin 
Bereit zu allem; bin bereit ihm zu 
Gestehn, dass ich es Euertwegen bin. 
  TEMPELHERR
Noch hab ich selber ihm nicht danken können, 
So oft ich auch ihm in den Weg getreten. 
Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam 
So schnell, als schnell er wiederum verschwunden. 
Wer weiß, ob er sich meiner gar erinnert. 
Und dennoch muss er, einmal wenigstens, 
Sich meiner noch erinnern, um mein Schicksal 
Ganz zu entscheiden. Nicht genug, dass ich 
Auf sein Geheiß noch bin, mit seinem Willen 
Noch leb: ich muss nun auch von ihm erwarten, 
Nach wessen Willen ich zu leben habe. 
  NATHAN
Nicht anders; um so mehr will ich nicht säumen. — 
Es fällt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch 
Zu kommen, Anlass gibt. — Erlaubt, verzeiht — 
Ich eile. — Wann, wann aber sehn wir Euch 
Bei uns? 
  TEMPELHERR
Sobald ich darf. 
  NATHAN
Sobald Ihr wollt. 
  TEMPELHERR
Noch heut.  
  NATHAN
Und Euer Name? — muss ich bitten. 
  TEMPELHERR
Mein Name war — ist Curd von Stauffen. — Curd! Nathan. 
  NATHAN
Von Stauffen? — Stauffen? — Stauffen?  
  TEMPELHERR
Warum fällt 
Euch das so auf? 
  NATHAN
Von Stauffen? — Des Geschlechts 
Sind wohl schon mehrere ... 
  TEMPELHERR
O ja! hier waren, 
Hier faulen des Geschlechts schon mehrere. 
Mein Oheim selbst — mein Vater will ich sagen — 
Doch warum schärft sich Euer Blick auf mich 
Je mehr und mehr? 
  NATHAN
O nichts! o nichts! Wie kann 
Ich Euch zu sehn ermüden?  
  TEMPELHERR
Drum verlass 
Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand 
Nicht selten mehr, als er zu finden wünschte. 
Ich fürcht ihn, Nathan. Lasst die Zeit allmählich, 
Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen. 
 
 
Er geht. NATHAN
der ihm mit Erstaunen nachsieht)
„Der Forscher fand nicht selten mehr, als er 
Zu finden wünschte.” — Ist es doch, als ob 
In meiner Seel’ er lese! — Wahrlich ja, 
Das könnt auch mir begegnen. — Nicht allein 
Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme . So, 
Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf; 
Trug Wolf sogar das Schwert im Arm; strich Wolf 
Sogar die Augenbraunen mit der Hand, 
Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen. — 
Wie solche tiefgeprägte Bilder doch 
Zu Zeiten in uns schlafen können, bis 
Ein Wort, ein Laut sie weckt! — Von Stauffen! — 
Ganz recht, ja, ja! ganz recht; Filnek und Stauffen. — 
Ich will das bald genauer wissen, bald. 
Nur erst
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