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Für den Fall, daß er starb, verblieb alles seiner Mutter, nur ein ganz geringer Teil seinem Bruder, den auch der Vater in seinen Testamenten nicht erwähnt hatte. Den Gedanken an Theodor verscheuchte Paul schnell, er mochte nicht an den Bruder denken. Obwohl er freiwillig und sogar gerne in den Tod ging, überfiel ihn immer wieder ein kleiner, hurtiger Neid gegen den jüngeren Bruder, der sicher dahinwandelte im Schutz seiner Jugend, sicher vor dem Krieg und sicher, das Ende des Krieges zu erleben und bessere Zeiten. Er verdient es nicht! sagte sich Paul. Wieder ergab er sich der Seligkeit der Todesahnungen.

In dieser Stimmung übertrieb er den Reichtum, die Dauer und die Fülle seiner vergangenen Jahre. Auch diese Übertreibung noch diktierte ihm sein hochmütiges Selbstbewußtsein. Ich bin reich gewesen, sagte er sich, jung, schön, kräftig gewesen. Ich habe Frauen besessen, die Liebe gekannt, die Welt gesehn. Ich kann ruhig sterben. Plötzlich überfiel ihn die Erinnerung an Nikita. Ich hätte, dachte er, früher an die Front gehn sollen. Ich hätte kein Kriegsgegner werden sollen. Ich gehe jetzt nicht freiwillig in den Tod, sondern gejagt. Es geschieht mir recht.

Je weiter die Nacht fortschritt, desto mehr Kälte brachte sie. Paul versuchte, die Lampe auszulöschen. Er wollte still im Finstern liegen, die Vorstellungen von einem Grab sollten vollkommen sein. Er wollte in einem rollenden Grab liegen und ins Jenseits fahren. Die Lampe ließ sich nicht auslöschen, sie war das Ewige Licht, sie brannte schon für sein Seelenheil. Er konnte nicht einschlafen. Er versuchte, mit gefrorenen Fingern etwas in sein Notizbuch zu schreiben. Schreiben macht klar! dachte er. Er war unfähig, auch nur einen Satz aufzuzeichnen, und er begann, sinnlose Ornamente über die weißen Blätter zu ziehen, wie einst in der Religionsstunde. Seine Kollegen aus der Schulzeit fielen ihm ein. Es gelang ihm, das eine und das andere Gesicht aufzuzeichnen, er rekonstruierte die ganze Klasse, die Schulbänke, die Lehrer.

Darüber verging die Nacht.

Am nächsten Morgen war der Regen dünner Hagel und glasiger Schnee geworden, und seine Tropfen hämmerten mit einem zarten, metallenen Klang gegen die Fenster.

Der Zug näherte sich der letzten Bahnstation. Es war der Rand der Welt. Hier begann die schmalspurige, von Pferden gezogene Kleinbahn. Sie führte unmittelbar zum Regimentskommando.

Paul fuhr mit einigen Soldaten, die vom Urlaub zurückkehrten, in dem offenen, niederen Wagen. Wie durch eine dicke Mauer hörte er ihren Gesang, den das ferne Trommelfeuer begleitete. Er fühlte kaum den Wind und den stechenden Eisregen. Er sah die ersten Verwundeten, die mit weißen Verbänden am Arm der Sanitäter den langen Weg zurückhumpelten, die Blutspuren, die sie auf der schwarzen, feuchten Erde zurückließen und auf dem weichen, dichten, gelben Lehm. Den Mantelkragen hochgeschlagen, die Hände in den Taschen, den Blick reglos auf die Gruppen der Zurückgehenden gerichtet, auf das blendende Weiß, das lackrote Blut, das verkrustete Grau der Uniformen, den schwarzen Kot der Straße, stand Bernheim in der Ecke. Die Schüsse wurden deutlicher, die Soldaten hörten auf zu singen, ein zweiter Tag senkte sich der Dämmerung entgegen.

Er kam, als die Nacht anbrach, in die Stellung und hatte unerwartetes Glück; Glück, wie er es damals verstand, und noch in einem anderen Sinn. In dieser Nacht erwartete man einen Sturmangriff. Alle Kameraden schrieben Feldpostkarten nach Haus. Nicht aus einem Bedürfnis, aber nur, um nicht aufzufallen, schrieb auch Paul an seine Mutter. Sie wird vielleicht um mich weinen, sagte er sich, und er dachte an das Begräbnis seines Vaters und an die Tränen in den blanken Eisaugen seiner Mutter. Für seinen Bruder Theodor fügte er keinen Gruß hinzu. Aber er starb nicht, Paul Bernheim! Ein Bajonett durchbohrte seine rechte Wange. Er kam am nächsten Morgen ins Feldspital. Man nahm eine Kieferoperation vor. Während seine Wunde heilte, bekam er Typhus und wurde in ein Epidemiespital in die Etappe abgeschoben. Es war, als ob der alte Felix Bernheim über dem Sohn, auf den er wahrscheinlich auch im Himmel noch stolz war, väterlich wachte; als ob das Glück, das dem Alten gute Geschäfte und einen Haupttreffer beschert hatte, den Jungen vor dem Tod bewahrte. Denn jetzt erst, im Fieber, während er mit vier anderen in der Offiziersabteilung der Baracke lag, jetzt erst erwachten in Paul die Furcht vor dem Tode und der Drang nach dem Leben, das ihm für ein paar Tage so gleichgültig gewesen war. Er glaubte mit allen Kräften, daß er am Leben bleiben würde, er nahm die glückliche Wunde, die er im Handgemenge erhalten hatte, für ein Versprechen des Schicksals, ihn am Leben zu lassen. Und obwohl jeden zweiten Tag einer der Kameraden neben ihm blau wurde, reglos und schauderhaft, wußte Bernheim auch im höchsten und verwirrenden Fieber jeden Augenblick, daß er nicht sterben würde.

Es begann besser zu werden. Er verließ das Spital, erkältete sich, bekam eine Lungenentzündung und gelangte wieder in ein anderes.

Auch diese neue Krankheit schien eine unmittelbare Folge seines Wunsches zu sein, am Leben zu bleiben, nie mehr wieder ins Feld zu gehen. Längst hatte er jenes Ereignis mit Nikita in den Hintergrund seiner Erinnerung verdrängt. Er wurde wieder der alte Paul Bernheim. Er lag im Bett, das an der Wand in der Nähe des Fensters lehnte, mit dem Bewußtsein, siegreich gewesen zu sein und klüger als alle Welt. Sein alter Hochmut kam wie ein guter, treuer Freund ans Bett. Ein bläuliches Nachtlicht brannte über der Tür. Die unruhigen, hastigen und sägenden Atemzüge eines kranken Kameraden waren wie unmenschliche Laute, Stimmen fremder, unbekannter Tiere. In dem blauen Schimmer der Lampe, der an winterliches Mondlicht erinnerte, sah Paul Bernheim noch das letzte Hindernis, das er zu überwinden hatte. Er protestierte gegen die unschuldige Lampe. Diese Lampe verhinderte, daß ein Mann wie Paul Bernheim, der gewiß noch ganz andere Bedürfnisse haben durfte als die gewöhnlichen Kranken, eine Kerze anzünden konnte, um zu lesen oder zu schreiben oder zu zeichnen. Nicht genug daran, daß man den Geruch von Karbol und Jod Tag und Nacht einatmen mußte, durfte man auch nicht lesen, wann es einem gefiel. Die schönen, weiten Zimmer im Elternhaus! Paul Bernheim erinnerte sich genau an die Musterung der Tapeten, den warmen, goldenen Gongschlag, der zum Frühstück rief, die Melodien von Tschaikowsky, die er vierhändig mit seiner Schwester gespielt hatte. Zwischen der Stille, die in diesem Spital herrschte, dem scharfen und strengen Geruch seiner Räume, dem entsagungsvollen Weiß der ärztlichen Kittel, der Krankheit, den Seufzern und der Müdigkeit der Kameraden, dem ewigen Flügelrauschen des Todes — und Pauls wacher, warmer und hochmütiger Sehnsucht nach dem Leben war der Unterschied so groß wie zwischen krank und gesund. Paul Bernheim war stolz auf seine fortschreitende Genesung, als wäre sie sein Verdienst. Er verachtete die Kranken, als wären sie minderwertige Wesen. Er schätzte die Ärzte gering, weil das Karbol stank. Er hatte die Gewohnheit angenommen, in jedem Arzt, der an sein Bett trat, einen Zahntechniker zu erkennen, der nur im Krieg ärztliche Funktionen ausübte. Denn nach der Meinung Bernheims war ein Zahntechniker weniger als ein Internist, ebenso wie in der Rangliste seiner Mutter ein Staatsbeamter über einem Bankier stand. Er sah in jeder Krankenschwester ein Dienstmädchen, um sich im geheimen für die Verordnungen des Spitals zu rächen, das nicht genügend Rücksicht auf seine besonderen Wünsche nahm. Es war, als ob die paar Stunden, in denen er mit dem Leben abgeschlossen hatte und von seiner eigenen Persönlichkeit nicht so eingenommen gewesen war wie sonst in seinem ganzen Leben, es war, als ob diese wenigen Stunden jetzt einen doppelten Hochmut erzeugten. Es schien, daß die Natur Paul Bernheims auch eine vorübergehende Bescheidenheit nicht ertragen konnte und wettzumachen entschlossen war. Denn es ist nicht wahr, daß Leiden, Gefahren, Nähe des Todes einen Menschen ändern. Paul Bernheim konnten sie nichts anhaben.

Seine Rekonvaleszenz dauerte so lange, daß er in der Tat den Krieg nicht mehr zu fürchten brauchte. Als er das Spital verließ, bekam er einen Erholungsurlaub, und ehe dieser noch zu Ende war, brach die Revolution aus.

Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, daß sich Bernheim in jenen Tagen mit seinen Offiziersabzeichen auf die Straße wagte, ja daß er sich weigerte, Zivil anzulegen. Er schätzte seinen Rang nicht mehr, weil er zu einer besiegten Armee gehörte. Und nichts verachtete er, der vieles verachtete, so sehr wie das Besiegte. Er war im Gegenteil froh, weil nun seine kriegsfeindliche Episode auf keinen Fall mehr schaden konnte. Mit einem leisen, allerdings sehr verborgenen Stolz dachte er noch daran, daß England, sein England, gesiegt hatte. Es war, als hätte die Weltgeschichte der Anglomanie Bernheims recht gegeben, und er machte, wenn man vom Krieg sprach, das Gesicht jener Männer, die gern behaupten: „Ich hab’s ja gesagt.” Und trotzdem konnte er sich nicht dazu bequemen, seine Distinktionen abzulegen, weil es irgendein Soldat so wollte. Er schätzte ein revolutionierendes Volk ebenso gering wie ein besiegtes Vaterland.

So kam es, daß er eines Tages von einigen Soldaten blutig geschlagen wurde und als Muster heroischer, patriotischer Treue in einigen Zeitungen der Rechten figurierte. Es war das erstemal, daß er seinen Namen gedruckt lesen konnte. Und als wäre er nie ein Kriegsgegner gewesen und als hätte er niemals das Leben dem Tod im Felde vorgezogen und England seinem Vaterland, begann er, konservativ und patriotisch zu denken, und schon sah er sich Abgeordneter und Minister werden.

Selbstverständlich Minister.

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V

Paul Bernheim hätte seine Wiederkehr gerne telephonisch angekündigt. Aber es war nicht leicht, mit Frau Bernheim zu telephonieren. Sie konnte nichts begreifen, wenn der Sprecher nicht in ihrer Sichtweite war. Sie mußte sich ihn zumindest vorstellen. Erst wenn sie sich ein Bild von ihm gemacht hatte, begann sie, den Sinn der Frage zu begreifen. Es war, als ob die Worte, als ob die menschliche Sprache in der Welt der Frau Bernheim nur ein sehr mangelhaftes Verkehrsmittel wären und lediglich zur Unterstützung der Gesten und der Blicke dienten. Vielleicht kam daher der Leichtsinn, mit dem sie manche gewichtigen Worte bei falschen Gelegenheiten anbrachte.

Paul telegraphierte also. Auch Telegramme konnten Frau Bernheim aus der Fassung bringen. Ihrer Meinung nach war der Telegraph eigens dazu erfunden worden, um plötzliche Unglücksfälle rasch und sicher mitteilen zu können. Allmählich, seitdem sie Witwe geworden war, und besonders seit dem Ausbruch des Krieges, hatte sie auch angefangen, „sich einzuschränken” — wie sie zu sagen liebte — und bei jedem Telegramm, das Paul ihr schickte, nachzurechnen, wieviel es gekostet haben mochte. Ihre Freude über die Ankunft Pauls entsprach, als sie sein Telegramm las, ungefähr dem Schrecken, der sie ergriffen hatte, als es angekommen war, und ihrem Schmerz über die verschwendeten Spesen. Und es dauerte verhältnismäßig lange, ehe sie den Sinn der Botschaft, befreit von dem Schrecken und dem Trieb, die Worte zu zählen, in seiner ganzen freudigen Bedeutung erfaßte.

Sie wußte von Pauls langer Krankheit ebenso wie von seiner Verwundung. Da er ihr aber niemals mitgeteilt hatte, daß er zur Infanterie gegangen war, blieb der Optimismus, mit dem sie der Kavallerie stets vertraute, von Anfang bis zu Ende unverändert. Und selbst, als sie von der Verwundung Pauls erfuhr, kam es ihr nicht einen Augenblick in den Sinn, daß er auch hätte sterben können. Bei der Kavallerie verwundet werden bedeutete ihr ungefähr soviel, wie sich mit dem Taschenmesser in den Finger schneiden. Auch Typhus war ihrer Ansicht nach für einen Berittenen nicht lebensgefährlich. „Paul ist Offizier”, sagte sie, „er wird bestimmt sorgfältig gepflegt.” Nicht eine Stunde während des Krieges hatte ihre Sorge ihrem Sohn gegolten, aber Tag und Nacht dem Geld. Sie hatte Angst vor der Armut. Sie sah, daß man die ganze Zeit wenig Einnahmen und viele Ausgaben buchte. Herr Merwig, ein alter Mitarbeiter ihres Mannes, kam jeden Monat zu ihr und berichtete über den Gang der Geschäfte. Der Ausgang des Krieges, die Revolution, die Krüppel auf den Straßen und die Überzahl der Bettler, die nach ihren Worten „das Haus einrannten”, beschäftigten sie so sehr, daß ihr die Rückkehr Pauls kaum ein paar Minuten freudiger Aufregung brachte. Am Abend, als Theodor nach Hause kam, zeigte sie ihm das Telegramm. Er legte es, säuberlich gefaltet, ohne ein Wort zu sagen, auf den Tisch und begann, die Zeitung zu lesen. Frau Bernheim ergriff das Lorgnon, das immer an ihrer Hüfte hing und an eine Waffe erinnerte, ließ die Gläser hörbar aufschnellen, führte sie an die Augen und betrachtete ihren Sohn, als schaute sie auf die Bühne. Sie liebte es, das Lorgnon zu gebrauchen, wenn sie ungehalten war. Sie hatte die Erfahrung gemacht, daß die Dienstboten vor den Gläsern erschraken. Theodor hörte ihr Geräusch und neigte den Kopf noch tiefer über die Zeitung.

Frau Bernheim ließ das Lorgnon wieder fallen. Nach einigen Sekunden sagte sie: „Du hast ebensowenig Herz, wie dein Vater gehabt hat. Aber er war wenigstens klug.

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