Totenmesse - Stanisław Przybyszewski (dla bibliotek TXT) 📖
- Autor: Stanisław Przybyszewski
- Epoka: Modernizm
- Rodzaj: Liryka
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Wie das brutale Licht der Mittsommersonne zersetzen sie mir, vergiften sie mir den Nährstoff der Erde, in der ich wurzle, und dörren mir das Chlorophyll aus allem, was diesem Boden entsprossen ist.
Und so wurde das Gold zu Kupfer entwertet und die schönsten Hoffnungen zerbröckelt und zertrümmert; die Gedanken verloren ihre Expansivkraft und sanken zu zusammenhanglosen Reflexen herab; die glück– und lebensreiche Welt der Dinge wurde zum wesenlosen, unbestimmten Symbol, grau in grau auf eine kalte Glaswand hingehaucht; das taghelle, sonnensatte Sehen zur kranken Halluzination, — und du — ja Du — du wurdest mir zu einer weiblichen Zentaurin mit Sphinxgesicht und struppigen Haaren, die dir tief in deine Stirn herabgewachsen sind, und mit den feinen Adelszügen meiner Mutter.
Und mit den Hufen der Hinterbeine hast du einen Stern vom Himmel gerissen, dass er herunterfiel und zischend in den Stillen Ozean versank, und mit den Vorderfüßen greifst du über den Rand des Erdballs hinaus, des lächerlichen Erdballs, um mich hinauszutragen in die Unendlichkeit des Kosmos, wo der Raum zur Chimäre wurde und die Zeit sich in den Schwanz beißt, weil sie sich nicht ausdehnen kann.
Und ich wälze mich auf dir und umfasse deinen Hals und sauge mich an deine Jungfrauenbrust fest und trinke aus deinen Venen die mit Blut gemischte Muttermilch.
O, trag mich hinaus — hinaus, wo zerbröckelte Welten einsam herumirren und aufeinander platzen —
wo dichte Strahlengarben der Sterne einander leise berühren, aneinander niederfließen und mit lichter, daunenweicher, zitternder Harmonie die Welt durchtönen —
auf irgendeinen Punkt hinaus, wo die Anziehungskräfte der Sonnen sich aufheben und ich Schwere und Gewicht und alle Beziehung zu Raum und Zeit und Mittelpunkt verliere —
mit sehnsuchtjauchzenden, sternenbrünstigen Flügeln hinaus, wo meine Größe auf ein lächerlich Atom zusammenschrumpft —
auf etwas Atmosphärenloses hinaus, wo meine Formen verschwinden, wo ich mit dem All zusammenfließe und mich wie ein lavaflüssiger Meteor in den kosmischen Ozean stürzen kann —
hinaus zum Trotz dem dummen Gesetz der Erhaltung von Kraft und Materie —
hinaus in die auf– und niederflutende Rhythmik der Äthermolekeln —
auf einen Millionenjahre von der Erde entfernten Stern hinaus, wo ich mich hinlegen kann und ausruhen und tausend Jahrhunderte nicht länger empfinde als einen Moment und die Entfernung zur Erde nicht weiter fühle als die Dogmenspitze des Urelements, auf der ich die Welt aufspießen und in die Sonne schleudern will, damit sie sich dort reinige und in ein Nichts, ein goldenes Sonnennichts erlöse.
Aber nicht mal das vermag sie mehr; selbst da noch bleibt sie als ein Fleck, ein Sonnenschlacken kleben.
Aber nur hinaus, hinaus, damit ich nicht brutal mich selbst zerstören muss!
Wie ein Lichtschein will ich, durch tausend Medien gebrochen, von tausend Flächen zurückgeworfen, in meine Uridee zurückversinken, aus der ich geworden bin.
Wie ein Strahl, der auf die Straße fiel und von ihr emporschreckt, ihrer feuchten, schmutzigen Wärme satt, will ich wieder zu der Ursonne hin. die mich hinausgeschickt hat, Glück und Freude den Menschen zu bringen. ...
Nur nicht in die Erde zurück: zum Fraß den Würmern, zu einer ekelhaften Kopulation mit Anorganisch-Organischem, zu neuem, kranken Leben durch tausende von Stoffwechselformen hindurch!
O, wie das grässlich ist!
Und doch — es muss geschehen.
*
Jetzt beginnt die Agonie; es geht zu Ende.
— Wie war es doch?
Ich lag im Bette; hinten am Kopfe fühlte ich wie angenagelt das endlos weite Bewusstsein, dass ich nun ein Ende machen müsste.
Es war wie ein unentwirrbares Knäuel in meinem Gehirn, der in Vibration unter unausstehlicher Hitze geriet, in wahnsinniger Lust, sich selbst zu entwirren, sich in lange, feine, dünne Gedankenfaden auszuspinnen.
Dann kam’s wie eine Flutwelle, zu starren Krampfzuckungen, über die sich eine Schlangenlinie von Unruhe nach oben wälzte, die immer dicker und schwerer und schwärzer wurde, immer schneller nach oben, immer heftiger, bis sie sich zur wilden Jagd entrollte, einer unsagbaren Agonie der Todesangst, wo das Gehirn auseinandergehen, sich selbst entfliehen und wie ein Stück einer geborstenen Welt in weiten, zentrifugalen Kreisen in idiotischer Tarantella um die Sonne tanzen will. Und so wurde wieder Ruhe.
Ein leises, weiches, laues Behagen. Eine verzückte Schwärmerei, die sich auf tiefdunkelblauen, mit zerfließendem Gold verbrämten Kräuselwellen wiegte.
Und plötzlich kam ein Starrkrampf.
Das Gehirn geriet in einen tollen Veitstanz, und mit einem wilden Ruck wurde ich vom Bett emporgeschnellt.
Ich fuhr auf. Die Gesichtsmuskeln verzerrten sich so, dass sie schmerzten, und die weit aufgerissenen Augen wollten qualvoll aus den Höhlen heraus:
Da stand ich selbst in der Ecke, einen Revolver an der Stirn, und sprach mit fliegender, fiebernder Hast:
Du tust es nicht! du tust es nicht! nein, am Gottes willen nein, du tust es nicht! —
Ich atmete tief auf:
Herrgott, das war ja nichts, gar nichts, — das war ja nur mein Überzieher, der am Nagel hing.
Ich legte mich erschöpft hin, setzte mich wieder auf, nahm meinen Kopf in beide Hände, umkrallte ihn ganz fest, sodass mich noch die Haut schmerzt.
Unbewusste, banale, nicht gewollte Assoziationen zuckten auf; die Flutwelle löste sich in einzelne Tropfen, die sich ganz lang dehnten, als fielen sie von einem Tropfenzähler nieder, und verschwanden wieder — eins — zwei — drei — vier; ich habe sie alle gezählt, und ich habe die Empfindung des Glucksens gehabt.
Nur Eins schimmerte durch, brach sich Bahn in der wilden Gedankenflut.
Du tust es nicht!
Und dieser Gedanke fing an zu fischen und zu angeln in dem trüben Strom, und kokettierte so lange bis ein anderer Gedanke an den Köder biss:
— Ja, und dann — tust du’s erst recht!
Und beide Gedanken kamen sich näher und näher, und umarmten sich, und setzten sich auf ihre Schwänze, und bäumten sich ganz hoch, und verflochten sich; und mit weit zurückgebogenen Köpfen starrten sie einander an, — lange, durchdringend, und lächelten sich dann verständnisinnig in die Augen.
Ja, und dann — war’s getan.
Mein Schicksal ist besiegelt.
So werde ich stehen, so die Pistole anlegen, so werde ich fiebernd sprechen: du wirst es nicht tun! du tust es nicht! — und zugleich ein Ruck, ein Jüngstentageslicht im Auge, ein Knall — und es ist getan.
Ein Zittern überlief meinen Körper, das Herz schlug unregelmäßig, und an den Schläfen hörte ich das Blut in ungestümer Hast an meine flachen Hände klopfen.
Die Unruhe wuchs, eine entsetzliche Angst nestelte auflösend an dem geschlossenen Zirkel meiner Gedanken, etwas wollte mich auf die Kissen niederdrücken, mein Leib krümmte sich unwillkürlich, um diesem Etwas nachzugeben, aber auf einmal fühlte ich ein Widerstreben, ich richtete mich gewaltsam, schmerzhaft auf und — sank in mich hinein.
Ich brütete; starr, dumpf, gedankenlos.
Ich wusste nur, dass ich mit Etwas zu Ende kommen, Etwas zu Ende denken müsse, wovor ich entsetzliche Angst hatte.
Auf einmal griff ich in Todesangst mit beiden Händen den Bettrand: auf dem Fussboden kroch, auseinanderfließend, ein Lichtschein.
Der grässliche Schreck war so lähmend, dass ich einen Augenblick das Bewusstsein verlor.
Als ich zu mir kam, besann ich mich, dass man wohl im gegenüberliegenden Hause eine Lampe angezündet habe.
Ein Gefühl unendlicher Entlastung überkam mich; ich wurde fast fröhlich.
Aber dann besann ich mich, dass ich doch nur deshalb fröhlich wäre, weil der Lichtschein meinen Willen, der sich auf etwas anderes konzentrieren sollte, zersplittert hatte.
Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn; das Gefühl, mich wieder dieser Qual ergeben zu müssen, fraß mit steigender Angst an meinem Gehirn.
Ich kroch aus dem Bette, mühevoll, mit schwerem Kopf; ein Schwindel drohte mich zu Boden zu werfen, ich setzte mich auf die Bettkante, stützte die Ellenbogen auf die Knie, legte meine Stirne in die Hände und ließ das Blut nach dem Gehirn zufließen.
Namenloses Mitleid überkam mich; heiße, große Tränen rollten über meine Wangen, und mir schien, dass an meinen Beinen etwas niederlaufe — mich fröstelte wohl. Damals konnte ich mich nicht besinnen, was es wohl wäre; es war mir auch gleichgültig — oh ja.
Ich weinte auch nicht Befreiungstränen, ich weinte und sang: sang, wie ein wilder Indianerhäuptling das düstre Grablied an dem Rand des eigenen Grabes singt.
Wie lange ich so saß, weiß ich nicht mehr.
Plötzlich fühlte ich ein eisiges Gefühl; nach langem Sinnen projizierte ich dies Kältegefühl in die Fußsohlen.
Also stand ich, und wollte etwas haben.
Ach so!
Ich suchte eine Zigarette.
Und alles schien vorbei zu sein.
Ich rauchte mir die Zigarette an, bekleidete mich, riss das Fenster auf, und stand lange, lange, in majestätischer, übermenschlicher Ruhe, am Fenster.
Ich dachte an nichts; ich reckte mich nur immer höher, immer breiter, in der grandiosen Majestät meiner Ruhe, in dem düsteren, maniakalischen, übermächtigen Willen nach Untergang.
Eine Kindheitserinnerung zuckte plötzlich durch mein Gehirn.
Ich sah mich in einer Dorfkirche. Es war ganz düster. Kerzen brannten in trübem Schimmer, wie Glutaugen, die vergebens den dichten Schleier des Weihrauchs, den der Priester der heiligen Monstranz gespendet, zu durchbrechen suchten. Sie bohrten sich zur Hälfte hindurch und verschwammen alsdann und tränkten und sättigten den Weihrauchnebel mit lichtem Gold.
Eine ansteckende Krankheit raffte die Hälfte des Dorfes dahin, und jeden Abend sammelte sich das Volk in der Kirche und warf sich ganz lang auf den Boden, und stöhnte qualvoll, im Schweiß der Todesangst gebadet, zu Gott.
Und dann erhob sich ein wilder, ächzender Gesang, in dem das Herz sich in blutenden Zuckungen vom Leibe riss, ein keuchender Gesang, den ein roher, physischer Wille zum Leben wie eine Sturzlawine über eine riesenhafte Fläche ausspannte, jeden Augenblick bereit, die ganze Masse zu zertrümmern und zu begraben.
Und in den körperlichen, grausigen Refrain: Herr, errette uns! mischten sich Glockenklänge und Orgelbrausen, der Jüngstengerichtsschrecken und das tierische Wiehern der Kranken — und plötzlich fing das Volk, in wilder Verzweiflung, laut, wahnsinnig an zu schluchzen, und es rang die Hände, und warf sich in die Brust, und schrie, schrie unaufhörlich in der schauerlichen Agonie der Todesangst nach Gott.
Und als der alte, graue Priester den Altar mit beiden Händen umklammerte und das Schluchzen seinen Körper hin– und herwarf, da kam ein unbeschreiblicher Massenwahnsinn über das Volk.
Ich höre nur noch ein brüllendes Gewieher von Stimmen; ich sehe eine satanische Walpurgisnacht mit den unerhörtesten Torturen der Angst.
Mich fasste ein entsetzliches Grauen vor dieser nackten Lebensbrunst, ein Grauen vor dieser epileptischen Todesangst, und willenlos, erstarrt, zitternd wiederholte ich unaufhörlich: Herr, errette uns!
Über dem Volke thronte, grausam lächelnd, der Engel des Todes und bezeichnete die, die sterben sollten, mit einem flammenden Schwert.
War ich darunter?
Aus meinem Kehlkopf ringt sich mühsam ein inbrünstiges, mit dem letzten Funken der Lebenslust aufflackerndes:
Herr, errette uns!
Keine Rettung für mich.
Und ich wurde wieder ruhig.
Ich schaute auf die Erde; sie schlief. Ich sah nach dem Himmel; er war still.
Ein unnennbares Gefühl beschlich mich vor dieser Grabesstille, dieser weiten Kirchhofsruhe.
Es war ein Augenblick, als hätten unsichtbare Priesterhände das Allerheiligste aus dem Tabernakel der Natur hervorgeholt und zeigten es der Welt. Sie sinkt auf ihr Antlitz in starrer Ehrfurcht; erwartungsvoll, mit leisem Beben, in heiliger Verzückung fühlt sie dumpf den mystischen Moment erscheinen, in dem das Brot zum Fleische und der Wein zum Blute werde.
Und jetzt müssten dreimal die Glocken erklingen, jetzt müsste sich ein leises, inbrünstiges Murmeln von kauernden Stimmen des Volkes erheben, und ein Zittern durch die Welt gehen, wie wenn Millionen sich in die Brust werfen:
Sanctus, Sanctus, Sanctus.
Die Erde ist still, der Himmel gähnt Ströme von blausilbernem Sternenlicht herab, und alles ruht in tauber Stille, weil Ich der Herr, der alles geschaffen hat, aus dem es alles entstanden ist, Ich König, Ich Gesalbter, Ich Erzpriester das letzte, das heilige Abendmahl einnehme.
Eine tiefe Seligkeit, eine morgenblaue Seligkeit des künftigen Lebens ergoss sich mit weitem Strom in meine Adern; ich fühlte Flügel aus meinen Schultern wachsen; der ewigen Zukunft zujauchzender Gesang riss sich aus meiner Kehle; ich war heiter wie das Sonnenlicht des Südens, das mit dem Meerwasser spielt — da plötzlich überrumpelte mich der lauernde Wahnsinn, mit dem ich so lange gekämpft.
Die Nacht würgt sich mit dem Tage in tödlicher Umarmung, das blutige Rot der Auferstehung wurde von der schwarzen Finsternis der Nacht ertränkt.
Angst und Entsetzen recken sich wie Salzsäulen, die Medusenhäupter mit den grässlich aufgeblähten Schlangenleibern starr empor gerichtet gegen das Himmelssodoma.
In meinen Augen sprüht ein schwefliger Funkenregen.
Eine weite, flammende Furche zerreißt das himmlische Gewölbe, ein Stern lischt aus, wird rot wie eine flammende Gangränwunde, er bebt, er zittert, er fällt herab und reißt mit mächtigem Ruck eine ganze Sternenkette herab.
Aus dem klaffenden Himmel seh’ ich in Schwefelwolken und Feuerlava ein Gesicht hervortauchen mit zusammengekniffenen lasziven Augen, die Lippen geöffnet wie in höchster Wollustekstase, die Haare wie Feuergräben durch den ganzen Himmel hin zerrissen, —
aus dem klaffenden Himmel seh’ ich Frauenhände, schrecklich, körperlos, sich nach mir ausstrecken, —
aus dem klaffenden Himmel seh’ ich einen apokalyptischen Frauenleib wachsen; in weiten Schlangenlinien stürzt er auf mich zu, er umfängt mich; ich reiße mich los, ich keuche; ich kaure auf dem Boden, blutiger Schaum tritt auf meine Lippen —
Astarte!
Sie holt sich ihr Opfer.
Sie die wüste Foltermagd, die sich an den entsetzlichsten Qualen weidet,
sie, die den Onan neue Wollustorgien erfinden ließ, um ihn nachher
Uwagi (0)