Totenmesse - Stanisław Przybyszewski (dla bibliotek TXT) 📖
- Autor: Stanisław Przybyszewski
- Epoka: Modernizm
- Rodzaj: Liryka
Czytasz książkę online - «Totenmesse - Stanisław Przybyszewski (dla bibliotek TXT) 📖». Wszystkie książki tego autora 👉 Stanisław Przybyszewski
Andere wachsen ins Riesenhafte, Ungeheure, Exotische aus. Mein Gehirn, das bisher nur in europäischen Dimensionen zu denken gewohnt war, entspannt jetzt die gewaltigen Formen der Tempel von Lahore, kombiniert die ägyptische Sphinx mit dem chinesischen Drachen; es schreibt mit den furchtbaren Massen, aus denen die Pyramiden entstanden sind, es denkt in dem vollen, majestätischen Sanskrit, wo jedes Wort ein lebender Organismus ist, der durch einen mystischen, pangenetischen Vorgang zu einem Wesen wurde, ein an riesigen Geschlechtsorgan mit unermesslicher Zeugungskraft, das alle Sprachen, alle Gedanken gezeugt hat: eine Synthese von Logos und Kâma — das Wort des Johannes, das zum Fleische wurde.
Und ich schwelge dann in wüsten Raumphantasien. Ich bin ein assyrischer König, mit himmelstürmender Tiara und grellen, lichtgewobenen Brokatkleidern; auf dem Sensenwagen schwebe ich dahin über der europäischen Misere mit einer Macht und grandiosen Herrlichkeit, die einst die Sklaven auf ihr Angesicht in Staub und Kot geworfen hat.
Ja: ich liebe die babylonische, schweigsame Majestät, wo die Worte teuer und kostbar waren, weil sie einen schauerlichen Geburtsakt kosteten.
Ja: ich liebe die titanische, naive Gewalt des Machtbewusstseins, die die Götter verhöhnt, die über Menschen herrscht und all Getier, die das Meer peitschen ließ und in unbekannte Länder Fesseln mit sich führte.
Ja: ich liebe den Wahnsinnstrotz, den granitharten, drachenzahngeborenen Stolz des biblischen Menschen, der dem grausamen Gotte höhnend mit dröhnendem Lachen sein erstes Satan-Jehovah zuruft und einen Felsen aus der Erde reißt, um ihn gegen den Himmel zu werfen, gegen die eherne Stirn des furchtbaren Mörders, der seine selbsterschaffene Brut geißelt für die Sünden, die er selbst ihr eingeimpft hat.
Und ich fühle, wie mir die Pupille das Auge überflutet, wie mein Körper sich reckt, wie die Brust mit doppelter Lungenkapazität sich dehnt und die furchtbare, heilige Mitrasstille sich auf mein Antlitz legt.
Und dann kommt der gigantische Augenblick, wo ich Sensationen empfinde mit einer Fläche von tausend Quadratmetern, wogegen diese paar Kubikzentimeter Blut, mit denen ich Sauerstoff absorbiere, eine lächerliche Kleinigkeit sind, — wo ich die Wiedergeburt aller Völker und Kulturen in mir seine, — wo ich mit unaussprechlicher Liebe das kindliche Konglomerat von grellsten Farben auf einem ägyptischen Friese und die höchste technische Farbenvollkommenheit irgendeines Franzosen genieße, — wo mir das lächerliche Tam-tam eines Negerliedes neben der kompliziertesten Chopinschen Sonate als gleicher Genuss gilt, — wo sich alle meine Sinne durchdringen wie in einer Xenophanischen Gottheit oder wie in einer Molluske, die nur mit einem Organe alle Sinneseindrücke aufnimmt.
Und wenn der Raum entweicht, — wenn alles um mich einstürzt, wie Wellen in ein Loch, das ein Kind mit einem Steine in die Wasseroberfläche einschlägt, — — wenn die Herrschaft über meine Muskeln aufhört und ich Haut– und Muskelsinn verliere und nicht mehr weiß, ob ich da bin, — wenn tausend Jahre in mir rückwärtsfluten und ich auf Augenblicke meine nackte Individualität, mein sterbendes Geschlecht zurückgewinne, dass ich in das Ursein sinke, mich als Uratom begreife, der sich selber begatten will, und den Puls des Allseins sich in meine Adern gießen fühle: dann empfinde ich ein namenloses, tiefes, unendliches Glück, weit und tief wie die Atmosphäre, die sich über die Welt gelagert hat Ich begreife sehr gut, dass es das Ende ist.
Ich weiß, dass es Desintegrationen der Empfindungen, schwere Muskel– und Innervationsstörungen sind. Aber was geht das alles Mich an!
Ich will untergehen.
Und wenn auch meine Empfindungssphäre sich völlig von meinem Willen emanzipierte, wenn meine Seelenzustände nur zur Hälfte gedeihen, — eine wirre Menge von Gedanken, ein zerfasertes Netz von Gefühlen, jeder motorischen Energie von Grund aus bar: so genieße ich dafür in Mir das wunderbare, mikrokosmische Bild einer titanischen Weltanschauung! —
Ich, das Subjekt, bin nur in der Empfindung; ich kenne mich nur in der Empfindung; ob die zum Willen wird, ist furchtbar Nebensache.
Ich kenne nichts außer meiner Empfindung, und ich kenne vor allen Dingen keine Kausalität, nur Aufeinanderfolge meiner Empfindungen; ob sie logisch sich abwickeln oder nicht, das ist nicht meine Sache.
Mein Subjekt sitzt einfach auf dem Isolierschemel. Es ist das Gravitationszentrum, um das das illusorisch Seiende oszilliert; es guckt durchs Mikroskop oder, je nachdem, durchs Fernrohr; und in der Souveränität Meines Subjektes erlaube Ich Mir zu denken, dass alles nur ein Traum ist und das „Wirkliche” nur eine besondere Form des Traumes und Ich mir selbst so fremd wie Euch.
Und Euretwegen, die ihr gar vielleicht nicht existiert, ihr Hirngespinste meiner geschlechtsschwangeren Seele: Menschenkinder, euretwegen sollte ich leben?
Etwa weil ich der Menschheit etwas schuldig bin, weil ich „doch nun einmal da bin”?
Ha, ha, ha! Mais rassurez vous: Ich liebe euch alle —
euch, die ihr nichts zu sein vermögt, als die autonomen Geschlechtsorgane der Argonauten, die sich in der Brunstperiode vom Mutterleib ablösen und auf eigene Faust das Weibchen suchen;
und euch, die ihr euch in ständiger geschlechtlicher Innervation befindet, euch Künstler nennt und eure Wollustideale produziert;
und euch, die ihr ewig lauert auf Erwerb für eure fortgepflanzten Spermatozyten, was ihr Liebe zur persönlichen Unsterblichkeit benamst;
und euch, die ihr maßlos verschwenderisch seid; denn in eurer Narrheit waltet die dumme Grandiosität der Geschlechtsnatur, die fünfzehn Millionen Spermatozyten braucht, um ein lächerliches Eichen zu befruchten,
oh! ich liebe euch alle, und ich bedauere euch, weil ihr leben müsst und der Misthaufen seid, dem neue Zukunft entsprießen soll, weil ihr Mittel seid und Genitalorgane des Geschlechtes und euch verpflichtet fühlt, für andere zu leben.
Ich bin für mich allein!
Ich bin Anfang, weil ich die ganze Entwickelungsreihe in mir trage, und bin Ende, weil ich ihr Schlussglied bin.
Allein mit meinen Empfindungen.
Ihr habt noch eine Außenwelt; ich habe keine, ich habe nur Mich.
Ich bin Ich.
Ich, die große Synthese von Christus und Satan, der ich mich selber auf den Berg führe und in Versuchung bringe und mich übertölpeln will.
Ich, die Synthese von trunkenster Begeiferung und kalt berechnetem Raffinement, die Synthese vom gläubigsten Urchristen und höhnisch grinsenden Unglauben, ein mystischer Ekstatiker und satanischer Priester, der mit gebenedeitem Munde die heiligsten Worte und obszönsten Blasphemien im selben Augenblick verkündet.
Und in diesem Augenblicke habe ich eine Lichtempfindung, wie wenn ein ganzes Meer von Purpurrot aus halbgeronnenem Venenblut über den Himmel ausgegossen wäre, und in den Ohren einen schneidenden, sauren Ton in der Applikatur, wie wenn ein Folterknecht mit einer Säge durch eine Glasplatte schnitte —
O qualis artifex pereo!
*
Du bist wie ein schwacher, matter, silberner Lichtstrahl, den ein Hüttenfenster in einer lauen Herbstnacht auf die Wiese ausgespien hat über das nasse, weiche Nebeltuch, das mit brünstiger, lustsatter Müdigkeit auf dem Grasteppich lagert. Über die Nebelfläche wiegt er sich wie eine zögernde Welle Licht; wie Glockentöne zum Ave-Maria fließt er rein, golden, allmählich verklingend, und lange hallt er nach und gießt sich in den Körper mit matter, kranker Ruhe.
Du bist wie die blaue Morgenstunde, wenn der Osten sich zu röten und Licht auszuatmen beginnt. Die ganze Welt sättigt sich mit den dunklen Osternachtmysterien der Auferstehung, sie taucht unter in der blauen Seligkeit des Himmels, sie zerfließt in dieser Atmosphäre kalten, flüssigen Damaszenerstahls, und plötzlich brennt sie auf, in weitem, tiefem violetten Farbenmeer, das die ersten, melancholischen, traummüden Lichtkolumnen entfachen.
Und alles ist tief und blau und heilig.
Um deine Augen war es wie Protuberanzenschein bei Sonnenfinsternissen, wie eine Phosphoreszenz der Fäulnis, und sie glühten wie zwei tiefe Sterne einer schwarzen Herbstnacht in den Abgrund meiner Seele hinein.
Um deine Mundwinkel feine, weiche Interferenzlinien, die mich an meinen heimatlichen See erinnerten, an die klare, stille Wasserflut, wenn ich sie mit dem Ruder bewegte.
Deine Stimme kam zu mir, wie wenn sie über das grüne Meer mit dem Frühlingswinde hergeweht wäre, und ich höre sie fortwährend als ein aufgelöstes, in Schallatmosphäre transformiertes Lichtmeer, das mich beständig umfließt mit unendlich feinen, distinkten Wellenschwingungen.
Ich gehe wie eingehüllt in sie, und meine Gedanken fließen auf und nieder auf der wogenden Rhythmik dieser Stimme mit der weichen — frauenhändeweichen Dominante in cis-Moll.
Als ich dich das erste Mal erblickte, war es mir, als ob ich meine Individualität in ihrer mystischen Nacktheit gesehen hätte.
Du warst für mich die Offenbarung meines höchsten Schauens; in dir war das Rätsel meiner höchsten ästhetischen Sehnsucht gelöst. Du warst die Geschichte meiner Entwicklung, meine sexuelle Vergangenheit. Ein Stück Palingenesis warst du von mir; in uns beiden hat sich die gemeinsame Uridee, die gleiche Woge der Geschlechtsevolution objektiviert.
Und so musste ich deine Formen, deine Bewegungen lieben, so musste mich die Stimmung, die du strömtest, berauschen, weil mein Geschlecht mir meine Seele auf dich eingerichtet hatte, dass sie dich zum Fraße ihm zuführe, zum Molochopfer überliefere.
Du warst wohl ursprünglich mein höchstes sexuelles Ideal; doch seitdem sich meine Seele autonom erklärte und mein Geschlecht erwürgte, konnte ich dich nur noch mit den Sinnen meiner Seele lieben, ihre Werkzeuge auf dich richten, dich mit meinen Augen trinken, den Tonfall deiner Sprache streicheln, meine Muskeln innervieren lassen durch die verschwimmenden Linien deines Körpers in eine unendliche Weichheit.
Und ich habe dich genossen in ewiger Qual und namenloser Sehnsucht. Es war, wie wenn ich eine Art physiologischen Amöbenbewusstseins empfangen hätte und den Augenblick in mir verspürte, als die Amöbe sich teilte, die Hälfte ihres Kernes zum neuen Wesen werden ließ, dieses verloren hatte und sich nun in brütender, qualvoller Sehnsucht nach ihm sehnte.
Es war, wie wenn ich mich als Hermaphroditen fühlte, mich selbst parthenogenetisch befruchtet hätte, ein Weibchen nach meinem Urbilde schuf, das aber fremd und Nicht-Ich wurde.
Und ich sehnte mich nach dir immer und ewig, ich sehnte mich nach jenem Augenblicke, als du Eines mit mir warst, bevor ich mich in deinem Körper objektivierte.
Ich sehnte mich in heißem Fieber nach dem Werdeprozess, wie die Formen Meines Geistes sich in deinen Körper kleideten, die Zuckungen meiner Muskeln dich ins Leben leiteten, wie du nach dem Muster meines Geistes wurdest und ein neues Wesen begann.
Ich liebe dich, wie die untergehende Sonne das Roggenfeld an Sommerabenden mit den letzten, blutroten Strahlen liebt; ich scheide ungern von dir, wie die Sonne von der Erde scheidet mit Weh und Sehnsucht, weil sie das heilige Mysterium der Nacht nicht sehen kann.
Das Mysterium der Nacht und des Abgrunds — in Dir wollte ich es sehen. Ich griff nach ihm mit fiebernden, qualstöhnenden Fingern; wie feine Lanzettenspitzen grub ich sie in deine Tiefe, und immer entschlüpfte es mir, glitt tiefer, verschwand.
Das Grundelement verflüchtigte sich in tausend Sublimationen, und mein Geist rang und krümmte sich in wilder Qual, dich wieder in sich aufzusaugen, dich aufzulösen in deiner brünstigen Hitze wie ein Stück Metall — Dich, seine verlorene Kernhälfte.
Und so bliebst du mir fremd, weil nur mein Geschlecht dich wiedererkennen könnte; das lebendige, nackte Geschlecht, das in mir tot ist.
Tot ist Das, was war, bevor ich wurde, was deinen Entstehungsprozess sah, was ihn vielleicht veranlasst hat, was durch endlose Formen sich bis zu mir hindurchgerungen hatte, was einst keine katoptrischen Instrumente brauchte, tun zu sehen, kein Cortisches Organ, um zu hören.
Ich liebte dich nur mit meiner Seele, mit der skeptischen, kranken Seele, die dich als klein, mir unterlegen, meine Magd und Sklavin empfand.
Ich liebte deine Lüge, weil ich selbst verlogen bin.
Aber während deine Lüge ein paar lächerliche Liebhaber an der Nase führen konnte, schuf meine Lüge die wunderbarsten wissenschaftlichen Hypothesen, schuf neue Welten, schuf Poesie, zwang den Menschen neue Gedanken, neue Gesittung auf, vollbrachte die ganze Kulturarbeit.
Ich liebe dein Verbrechertum, weil ich selbst Verbrecher bin.
Aber während Du als Verbrecher höchstens Prostituierte, Diebin und Kindesmörderin werden konntest, habe Ich als Verbrecher neue Gesetzestafeln geschrieben, alte Religionen vernichtet und neue entsponnen, Völker von der Erdkarte weggestrichen, der Erde die Eingeweide herausgerissen: Ich, der nimmersatte, ewige Verbrecher, der Erreger des Stoffwechsels in der Geschichte, der Geist der Evolutionen und Zerstörungen.
Ich liebe dein Geschlecht, das dich brünstig und empfänglich machte; du warst der Maßstab für die Stärke meiner Muskelkraft, mit deinem Gebärmuttergehirn hast du mein Geschlecht begriffen, mich in meiner Nacktheit gesehen, mich vor mir selbst entkleidet und das Rätsel meines Seins entwirrt.
Und das ist deine Stärke.
Das, was ich nicht konnte.
Deshalb liebe ich deine Lüge und dein Verbrechertum, weil sie deine Geschlechtsfunktionen sind, mit denen du den Weltgeist in mir fasstest und dich an ihm festsaugtest und ihn auf dich wirken ließest, um ihn doch vielleicht der neuen Zukunft, die deinem Schoß entsprießen sollte, dienstbar zu machen.
Vor meinen Augen steigen Bilder namenloser Qual auf, die ich mit dir verlebte.
Erinnerst du dich wohl, wie du im ekstatischen Aufschwung deines starken Geschlechtes mich tief, schmerzlich tief, in dich hineinpresstest?
Von unten empor drangen Tonwellen irgendwelcher Musik in mein Zimmer herauf; durch grünen, dichten Abat-jour ergoss die Lampe mattes Krankenbettlicht, und ich fühlte, wie durch irgendeinen Vorgang die Zuckungen deines Körpers sich mir mitteilten, wie sie auf meine Blutbahnen wirkten und das Herz in kleineren Zwischenräumen das Blut in die Gefäße speien ließen und in meinem Gehirne lange, lange nicht betretene Pfade in Erzitterung gerieten.
In diesem Augenblicke fühlte ich Glück.
Ich horchte gespannt, wie die geschlechtlichen Elemente sich summierten, wie eine schwache Welle sich in meinem Körper fortpflanzte, die immer stärker wurde, immer weitere Interferenzkreise um sich zog; ich fühlte, wie mein Kehlkopf sich zusammenschnürte und banale Liebesworte stammeln wollte, wie mein Bewusstsein immer schwächer wurde, immer geringeres
Uwagi (0)