ZurPsychologiedes Individuums - Stanisław Przybyszewski (tygodnik ilustrowany biblioteka cyfrowa .TXT) 📖
- Autor: Stanisław Przybyszewski
- Epoka: Modernizm
- Rodzaj: Epika
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Was wissen wir von der ewig unheilbrütenden Macht, von dem Dämon in uns, dem mittelalterlichen Fürst der Finsternis vergleichbar, der in der ewigen Nacht unseres Daseins lebt, in dessen Händen wir willenlose somnambule Medien sind?
Wir sehen, wie vor unseren Augen grinsende Gespenster aufsteigen, wir fühlen plötzlich einen Biß im Inneren, so schmerzhaft und so brennend, daß sich unser ganzes Wesen in Todesangst aufbäumt — wissen wir woher das alles kommt, weiß ein Lustmörder, weshalb ihn das frische Mädchenfleisch zum Morde berauscht, weiß ein Irrsinniger, weshalb er rast?
Horla! Horla!
Horla, der Edgar Poe am Alkohol, Baudelaire am Haschisch, Maupassant an Äther zu Grunde gehen läßt und Horla im Chopin hat dies Scherzo geschrieben!
Hier tritt uns das Problem des Menschen entgegen mit seinen Untiefen, dem unterirdischen Brausen, dem dumpfen Prasseln eines unsichtbaren Brandes — das gewaltige Problem, den keine Hypothesen von den doppelt-elektrischen Molekülen, keine Theorien von Atomen mit elektrolytischen Eigenschaften erklären werden, und l’homme machine, wie sich ihn die flachen anglisierenden Philosophen konstruiert haben, wird immer mehr zu einem Rätsel, weit tiefer aufgefaßt, wie man es im unwissendsten Mittelalter auffaßte.
An Chopin wurde mir zuerst das Wesen der Musik klar. —
Der schematisierende Philosophengeist, der schön geordnete Vermögen und Fakultäten besitzt, sucht für die Musik einen getrennten Ursprung, er will sie aus der Nachahmung von Natur — und Tierlauten entstanden wissen, nach dem lieblichen ABC der Bau-Wau-Theorie.
Hat man aber erst einen tieferen Einblick in den Menschen, und somit auch die Überzeugung gewonnen, daß unser Blick kaum die Oberfläche am Menschen streife, daß der Kahn unserer Erkenntnis auf dem glatten Eise der Bewustseinsphänomene gleite, nicht ahnend, daß darunter abgründliche Meere in majestätischer Pracht ruhen, dann begnügt man sich nicht mit diesen flachen Theorien.
Dort unten ist der gemeinsame Allmutterschoß, in dem alle Fakultäten in einem Keime beisammen ruhen, in einander verfädelt und verwachsen. —
Und sieht man einen Menschen an in seiner ewigen, rastlosen Beweglichkeit, denkt man sich hinein in das abwechselnde Erstarren und Aufschmelzen seiner Gesichtslinien, in die spielenden Schatten und Lichter, die beständig hin– und herhuschen, ohne daß der Mensch irgend etwas von diesem Spiele, das seine Nerven mit unsichtbarer Hand in Szene setzen, wüßte, da wird der Gedanke eines gleichen Ursprunges auch für die Musik nahegelegt, als eines geheimnisvollen Korrelats der beständigen Ebbe und Flut in unseren Nerven, als einer äquivalenten notwendigen Reflexwirkung des letzteren, eines motorischen Ausschlages ohne Begleitung irgend eines psychischen Parallelprozesses.
Der „Gefühlston”, unter welchem ein jeder Eindruck, mag er noch so klein sein, sich dem Gehirn darbietet, scheint zu einer motorischen Energie zu werden und im Kehlkopfe die Stimmbänder in Schwingungen zu versetzen, die alsdann im Gehörorgane zu Tonwerten umgeprägt werden. Ob dies auch dem tatsächlichen Verhalten entspricht, mag dahingestellt sein, ich will mich nur verständlich machen.
Übrigens wird wohl etwas Wahres daran sein. —
Es gibt einen experimentellen Weg, der das Essentielle meiner Ausführungen bestätigt.
Überläßt man sich dem Einflusse der Musik — ich kann es immer konstatieren, wenn ich Chopin höre — dann fühlt man, wie sich eine ganze Schar von Gefühlen hinaufdrängt, die man früher nicht bemerkt hatte. Man merkt, wie über die vom Lichte des Bewußten übergossenen Gegenstände flüchtige Schatten hinüberfliegen — wie das Bewußte intermittierend auf Augenblicke verdunkelt wird durch vage Erinnerungen, leise Unruhe, eine Art von Erzittern, als ob in der Ferne schwere Wagen rollten und den Erdboden erschütterten — man fühlt ganz deutlich, wie ein Ton nach dem andern ganze Ketten unfixierbarer Stimmungen aus der Tiefe hervorschleppt, wie sich diese Töne dann um einen Punkt kondensieren und plötzlich taucht irgend ein Erlebnis auf, das wie die neugeborene Sonne auszustrahlen beginnt und mit seiner Wärme in die tiefsten, entlegensten Winkeln unserer Seele hineingelangt. —
Was geschah?
Die Töne haben ihre korrelativen Gefühle wachgerufen, ganz unscheinbare vage Stimmungen, die als Begleiterscheinungen irgend eines Erlebnisses seiner Zeit aufgetreten, aber nicht empfunden wurden. Jetzt erst traten sie in Aktivität und nur auf diesem Wege gelangen wir zu den entferntesten geistigen Irradiationen, die sich auf dem Boden des geistigen Daseins festsetzen und ihn mit dünner Kruste überziehen.
Und gerade für diese sekundären Gefühle, für alles das, was sich aus jener Tiefe des Unbewußten hinaufarbeitet, was dunkel und verschwommen nach der Sonne hinaufstrebt, für alles Unsagbare, Zerrinnende, Beängstigende und Aufjauchzende, wofür wir keinen Grund anzugeben wüßten, wofür die Sprache keine Laute hat, wofür die scharfsinnigste Erklärung nur eine geschickte Taschenspielervolte ist, haben wir in Tönen Ausdruck.
Und wie Musik, als Stimmung, die sie ihrem Wesen nach nur allein bedeuten kann, dort aufhört, wo die Erkenntnis ansetzt, und wie sie sich beide in die Hände arbeiten, und wie der Ton sich in die Tiefe aus demselben Keim entwickelt, aus welchem das Wort sich mühsam in die Höhe hinaufarbeitet, unwissend, ob es der Lüge oder der Wahrheit zustrebt, so hat Chopin, der feinste Psychologe des Unbewußten, auch seine Ergänzung gefunden, so innig mit ihm verwandt und tausendfältig mit ihm verhäkelt und verfädelt, wie es nur eben Ton und Wort miteinander sind.
Dieses Korrelat von Chopin, seine Fortentwicklung auf gemeinsamen Boden und unter denselben kulturellen Bedingungen, vielleicht nur seine Kehrseite ist Friedrich Nietzsche.
Zwischen Chopin und Nietzsche bestand eine Art Sternenfreundschaft zweier Kometen, von denen es in der „Morgenröte” geschrieben steht, daß ihre Bahnen sich einmal in der Unendlichkeit gekreuzt haben müssen; dann sind sie sich wieder fremd geworden, um nach unabsehbaren Zeiten sich wieder einmal zu nähern. —
Wo Chopin aufhört, setzt Nietzsche an. Jener bannte die feinste Regung in seinem Inneren fest, mit den Polypenarmen seines Gehörs erhaschte er die flüchtigste Stimmung und mit der naiven Unbefangenheit des aristokratischen Von-Ohngefährs in seinem Wesen, gab er uns Kunde von der geheimen Arbeit in den tiefsten Seelenschichten.
Wie nun gerade diese im Dunklen des Unbewußten vegetierende Niederschlagsflora für die Handlungsweise des Menschen von ausschlaggebender Bedeutung sei, wie sich gerade aus den unverstandenen, unbewußten Irradiationen eines physischen Vorganges die Willensakte aufbauen und längst fertig vorliegen, bevor man noch mit dem Abwägen zum Abschlusse gekommen ist, wie vor jeder Urteilsfähigkeit das physiologische Postulat existiert, das uns alle unsere Handlungen ausführen läßt, ohne daß wir nach unseren Wünschen gefragt würden, wie alle seelischen Komplikationen aus untereinander gleichartigen Elementen bestehen und ihre scheinbare Verschiedenheit, ihre erstaunliche Mannigfaltigkeit nur der Ausdruck tausendfältiger Modifikationen eines und desselben Elementes ist, wie Wahrnehmung, Gefühl, Wille eine untrennbare Einheit, die psychische Funktion des minimalsten Bewegungsmomentes eines Nervenmolekels darstellen, wie überhaupt alle psychischen Zustände, die in ihrer Getrenntheit als etwas Einfaches, schlechthin Gegebenes, An-sich-Verständliches, als Ursachen und Kräfte aufgefaßt werden, nur falsche Interpretationen und Aggregatzustände physischer Vorgänge seien, alles das hat erst Nietzsche nachgewiesen und zugleich das große Mißtrauen gegen alles Bewußte gelehrt.
Das Bewußte am Menschen — im Sinne Nietzsches — ist wie die dünne Erdkruste, deren Zusammensetzung uns keinerlei Aufschlüsse über die Beschaffenheit des glühend flüssigen Erdinhaltes, aus dem sie sich durch Erstarrung gebildet hat, geben kann, es ist ein ewiger Clownstreich der interpretierenden Vernunft, um den Menschen zu betören und ihn irre zu leiten. Der fühlende, hoffende, wollende Mensch kam ihm wie ein Tier vor, das der Gott, wenn er bei Laune ist, kitzelt und stichelt, um sich an seinen Grimassen und dem grandiosen Gebahren desselben zu belustigen. —
Und nur durch diese falschen Interpretationen, durch diese eigentümlichen Aggegratzustände irgend etwas Unbekannten, durch dieses voreilige Zugreifen nach dem, was da ist, ohne sich nach seinem Ursprünge und Herkommen zu fragen, erklärte er sich den Glauben an die Seele als ein etwas, das in dem Menschen sitzt, das denkt, fühlt und will, dem ein ausgedehntes, obwohl nicht materielles, ein einfaches, absolutes Sein zukommt, das den Leib beherrscht und diese Hülle von sich ohne weiteres wegschütteln kann. — So erklärten sich ihm die antropomorphen Vorstellungen vom Wollen, als einer persönlich wirkenden Kraft, der Grundglaube an den freien Willen, als etwas schlechthin Undiskutierbares, außer allem Zweifel Stehendes, als die Grundtatsache des menschlichen Lebens — und so erklärten sich ihm die Konsequenzen dieses Glaubens, die Verantwortlichkeit, die Schuld, die lohnende und strafende Gerechtigkeit, die Grundwerte unseres moralischen Schätzens: das Gut und Böse. —
Es gibt aber keinen freien Willen, folglich gibt es keine Verantwortlichkeit, unsere Willensakte werden gewollt, aber nicht von uns, sondern von unserer Physis, über die wir keine Macht haben. Es gibt aber auch kein Gut und Böse, denn mit diesen Prädikaten belegen wir im letzteren Grunde nur die Natur, die im Menschen waltet, und diese zu loben oder zu verdächtigen ist Unsinn, ein Stück posthumer Vergangenheit, ein Atavismus rohester Art.
Folglich ist unsere Moral im Sinne des Verbindlichen und Absoluten auch nur ein Produkt des barbarischen, kindischen Denkens. —
Um die moralischen Phänomene zu erklären, bedarf es eines anderen Weges.
Das ist der kritisch-philosophische Teil der Arbeit Nietzsches in den gröbsten Umrissen, die Übersetzung Chopinscher Musik in die philosophische Sprache, Analyse und Deduktion aus dem Material, das Chopin geliefert hat.
Nietzsche war einer der seltenen Typen, die, gleich den Schütterlinien, — welche beim Erdbeben aufgerissen werden und die Stellen bezeichnen, wo die Erde einen Versuch gemacht hatte, sich neu umzugestalten — das Trachten der Natur kundgaben, den Menschen, über sich selbst hinaus zu schaffen und dieselbe Differenzierungsarbeit, die bis jetzt das ursprüngliche Protoplasmaklümpchen in einzelne Organe gesondert hatte, nunmehr weiter auszudehnen: die Menschen zu individualisierten Funktionen zu machen, gerade so wie sie in den Hymnopteren– und Thermitenstöcken den Polymorphismus zwischen Zeugenden, Gebärenden, Pflegern, Arbeitern, Beschützern zu Stande gebracht hatte.
Nietzsches Leben hatte sich in seinen Gedanken abgespielt, er hatte keine weiteren Erlebnisse, als nur neue Gedankenperspektiven, neue seelische Evolutionen, und in seiner Konstitution war er lauter Gehirn, ganzes Gehirn mit seinem Doppelbilde, der übermäßigen Intelligenz, und dem aufs äußerste gesteigerten affektiven Leben.
Nietzsche war ein reiner Intelligenz– und Gehirnmensch ganz genau in demselben Sinne, wie es bei einer Gattung der Hydromedusen, den Siphonophoren, Magentiere, Genitaltiere und Atmungstiere gibt.
Und darin eben, daß er die höchste Entwicklung und somit Übergang war, daß er mit der einen Hälfte seines Seins in eine neue Periode hinübergriff, daß das ganze Gleichgewicht seiner organischen Fortbildung sich nach dem Gehirn verrückte, daß er fortwährend an sich zum „Verbrecher” werden mußte, daß er ewiges Zerstören und Neu-Schaffen, ewiges Werden und Geschehen, stete Ebbe und Flut war, lag sein Untergang. Es war in ihm etwas von den Fieberzuständen, welche die Ausstoßung verbrauchter und verfaulender Gewebe begleiten, etwas von dem Seelenasthma, da die Lebensbedingungen, unter denen er lebte, nicht für ihn geschaffen waren, etwas von der nervösen Sensibilität und der allgemeinen übermäßigen Verfeinerung der Zwischen– und Übergangsarten.
In seiner ganzen Entwicklung sah man das große, geheimnisvolle Naturgesetz walten, wonach diese vermittelnden „Brücken” zu Grunde gehen müssen, gleich als ob sich die Natur ihrer Werdeprozesse schämte und deshalb alles Werden sich hinter den Kulissen abspielen läßt. —
Doch das eben, was sein Untergang war, machte auch zugleich seine Stärke, seine Macht aus. Er besaß jenen Scharfblick der Degenerierten mit der verletzenden Intensität einer Wintersonne, die sich mit ihrem Lichte über Schneefelder ergießt und jedes Schneekristallchen deutlich zu erkennen gibt — ein Auge, das einem Projektionsapparate gleich, das Gesehene, tausendfältig vergrößert, ins Gehirn projizierte, um jedes Ding in seiner intimsten Struktur in seiner kompliziertesten Verfassung betrachten zu können. — Aus seinen Sinnen konstruierte er sich Tastorgane, um dem Auge nachzuhelfen und dem Flächenbilde desselben seine stereometrischen Dimensionen zu geben. Sein Gehirn glich einer elektrischen Influenzmaschine, die sich von selbst immer von neuem ladet, oder einem Blutgefäß, das stets in Funktion bleibt, indem es sich fortwährend mit eigenen Gefäßen speist, und so konnte es nie zur Ruhe kommen, fortwährend streckte es seine Fühlhörner nach allen Seiten aus und während eines derselben sich mit einem Problem beschäftigte, eröffneten ihm die anderen neue Perspektiven, versetzten ihn in Fühlung mit den entlegensten Dingen, die bei der Beurteilung eines Gegenstandes ihm die Genese desselben vor die Augen zauberten und ihm die Möglichkeit boten, jedes Problem in seiner umfassendsten Totalität zu erfassen.
Und wie man auf einem Seismometer das geringste, sonst nicht bemerkbare Erdbeben wahrnehmen kann, wie man dann aus den Kurven, die derselbe über einer gemeinsamen Abszisse aufschreibt durch das Auftragen von Ordinaten die Mittelstärke des Bebens berechnen kann, so besaß er in seinem überaus verfeinerten Gemütsleben, das ihm jedes fremde Erlebnis nachzuempfinden und tatsächlich nachzuleben gestattete, in der wechselnden Intensität seiner Reaktionsweise, mit der er die Handlungen und Gefühle seiner Mitmenschen aufnahm, ein ebenso empfindliches Instrument.
Vermöge dieser Eigenschaft konnte er an sich selber die weitgehendsten Experimente vornehmen, und so wie es war, trug sein Gehirn das große, aristokratische Abzeichen, das einer großen Vergangenheit und Tradition, Auslese und Verfeinerung, Tiefe und Verschämtheit, es war wie ein Uhrwerk, das Jahrhunderte abgelaufen hat, ein Brennspiegel, der die Strahlen aus dem ganzen Weltall in einem Punkte konzentriert. Sein geistiges Leben glich einer ideellen Allgemeinexistenz, wo sich alle geistigen Strömungen, alle Kämpfe und Siege des Wissens wiederfanden, einem Resonanzboden, in dem jeder Ton verstärkt nachklingt, und von dem er Frische, Lebendigkeit und Farbe empfängt. In allem Menschlichen hat er sich ein Meer geschaffen mit endlosen Aus– und Fernblicken voll gefährlichster Untiefen und verderbenlauernden Sandbänken, ein Weib verführerischster Art, das ihn in seine Schliche lockte und mit leichtem Fuße davonsprang, sobald er seiner habhaft werden wollte. Doch er kannte die Gefahren des Meeres und die Schliche des Weibes, er kannte die
Uwagi (0)