ZurPsychologiedes Individuums - Stanisław Przybyszewski (tygodnik ilustrowany biblioteka cyfrowa .TXT) 📖
- Autor: Stanisław Przybyszewski
- Epoka: Modernizm
- Rodzaj: Epika
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In diesem Sinne ist das Individuum ein Art-erhaltendes, Art-förderndes Agens, nur so ist es zu verstehen, weshalb es gerade das Individuum war, welches den gefährlichen Übergang vom Tiere zum Menschen einleitete, welches die nachrückende Masse organisierte und von welchem alle Gestaltungs– und Formungsprozesse ihren Ausgang nehmen.
Das Individuum ist der ewige Zirkulationsstrom voll ernährenden Plasmas, der in dem sonst bedeutungslosen Gewebe den Stoffwechsel, die Grundlage des organischen Wachstums, besorgt und es so funktionell brauchbar macht, — ein Fermenterreger, der in das indifferente Gemenge die Gährungsprozesse einleitet, der leitende Verbindungsfaden, den man in einem Embryo zwischen Nerven und Muskelzellen vermutet und an dem der Nervenfaden in einen ganz bestimmten Muskel hineinwächst. —
Daher auch das Pathologische solcher Erscheinung, aber nur im klinischen Sinne.
Nur im klinischen, im physiologischen ist eine solche Entwicklung die denkbar natürlichste.
Das Individuum besitzt eine Nervenmasse von einer ungeheuren Instabilität, einer enormen Zersetzbarkeit, infolgedessen auch das Maßlose der Empfindungsqualität.
Maßlos im Schmerz und maßlos in der Freude.
Diese intense Empfindungsweise ist es, welche das Individuum darauf anweist, allein und einsam zu sein.
Nicht das Individuum sondert sich ab, sondern es ist schon von vornherein abgesondert.
Es empfindet anders, als alle Menschen, es empfindet dort, wo andere Menschen nichts emfinden, und weil die Gehirne seiner Mitmenschen selbst nicht einmal dort in Mitschwingungen geraten, wo das Individuum sich in heftigster Vibration befindet, so ist es eben einsam und allein. —
Das Tieftragische im Individuum ist das Mißverhältnis, in welchem es zu seinen Mitmenschen steht. Aus diesem Mißverhältnis erklärt sich dann sein Menschenekel und Menschenhaß, sein Mißbehagen und seine Sehnsucht, seine Selbstflucht und seine Krankheit und an diesem Mißverhältnisse geht das Individuum zu Grunde.
Das aber muß ich betonen, daß die Notwendigkeit des Unterganges einer solchen Persönlichkeit nicht in den Verhältnissen liegt, nicht im Außen begründet ist, sondern im Individuum selbst, in seiner innersten Uranlage, in seiner hohen Entwickelung.
Was diese Art der Entwickelung charakterisiert, ist die enorme Anspannung sämtlicher Kräfte in jedem Momente, das ist das große Gehirn mit der Fähigkeit, das Gras wachsen zu sehen, das Unhörbare zu hören, sich in jedem Augenblicke an jeder Empfindung mit seinem ganzen Inhalte zu betätigen, das ist der synthetisierende Geist, der jedes Ding in seinen entlegensten Zusammenhängen, in seinen intimsten Ausstrahlungen zu erfassen und es so zur höchsten Potenz zu erheben vermag, das ist der andauernde intellektuelle Erethismus mit seinen kataleptischen Zuständen, seinen Autosuggestionen und Wahnvorstellungen.
Es ist klar, daß eine solche geistige Verfassung nur unter der Voraussetzung einer enormen Empfindungsintensität möglich ist: das Fatale an jeder wachsenden und gesteigerten Kultur ist das steigende Überhandnehmen der Schmerzgefühle, die dann als organische Räsonanz, den Verfall zur Folge haben: die Kultur geht an sich selber zu Grunde; und das Fatale am Individuum ist es eben, daß alle seine Gefühle mit Schmerzgefühlen innig vermengt und zersetzt sind, daß es fortwährend jenen physiologischen Rückschlägen ausgesetzt ist, die ein anderer sonst nur bei dem intensesten aller seiner Gefühle — dem Wollustgefühl — konstatieren kann, und die dann nur noch der Dichter nach jedem Schöpfungsakte an sich erfährt, — wie überhaupt der Dichter in dem Momente des Schaffens an diese extremste Potenzierung des Menschen, die ich hier ins Auge fasse, allein heranreicht. —
Und so hat jene Auffassung des Individuums als eines Art-erhaltenden und Art-fördernden Momentes in dem Entwicklungsleben der Menschheit eine Kehrseite: die tragische Auffassung seiner Persönlichkeit als eines Mittels.
In dem Leben des Individuums offenbart sich das grandiose Walten der Natur, die nur die Art im Auge behält und sich um das Individuum nicht kümmert, dasselbe Walten, welches in den Ameisen und Bienenstöcken das Weibchen kastriert und es zu einer Sklavin macht, die als Arbeiterin für die Art sorgen muß, dasselbe Walten, welches in den niederen Tierarten das Männchen untergehen läßt, sobald das Weibchen befruchtet und somit für die Fortpflanzung der Art gesorgt hat, das Walten, welches das ganze Leben zu einer großen geschlechtlichen Funktion macht, zu einem Dungmaterial, auf welchem die Art gedeihlich emporschießen soll.
Das ist das große Martyrium des Individuums, daß es sein Leben für die Art opfern muß. —
Der doppelte Charakter in der Auffassung einer individuellen Persönlichkeit ist es, der mir bei Beurteilung der beiden ausgesprochensten Individualisten unseres Jahrhunderts, Chopin und Nietzsche, zum Ausgangspunkte dient und sie mir so innig verwandt erscheinen läßt.
Chopin ist ein Kreuzungsprodukt zweier Individuen, die verschiedenen Rassen und verschiedenen Kulturen angehörten, und dies eben war von vornherein für sein Wesen von bestimmender Bedeutung.
Durch sein ganzes Wesen zieht sich eine scharfe Linie, welche die Aneinanderlagerung der Merkmale beider Rassen bezeichnet, ohne daß es jemals zu ihrer gegenseitigen Durchdringung oder Auflösung zu etwas Ganzem gekommen wäre.
Das spezifisch-slawische in ihm, die subtile Feinheit des Gefühls, die leichte Erregbarkeit und die Fähigkeit, ohne irgend welche Vermittlung von einem Extrem ins andere überzuspringen, das Leidenschaftliche und Sinnliche, die Neigung zur Prunk– und Verschwendungssucht, und vor allem der eigenartige, melancholische Lyrismus, der nichts weiter ist, als der sublimierteste Egoismus, der alles auf sich bezieht und seine eignen Ich-Zustände als den einzigen und höchsten Maßstab hinstellt, die dunkle Melancholie endloser Ebenen mit ihren sandigen, wüsten Strecken mit dem bleiernen Himmel darüber, trat in grellen Widerspruch zu der gelenken, leichtsinnigen Beweglichkeit des Galliers, seinem koketten Femininismus, seiner Lebenslust und Lichtfreude.
In diesem Zwiespalt lag schon der Keim, der nach und nach zu einem ausgedehnten Degenerationsherd wurde, von dem aus aufsteigend die Degeneration das eigentlich Zentrale in ihm, seine eigenste Uranlage, die starke Intensität des gesunden Empfindens, in Mitleidenschaft gezogen hatte.
Die Musik Chopins aus seinen letzten Jahren zeigt ein ausgesprochenes Merkmal der Schreckbildpsychose. —
Schon frühe, begünstigt durch das Milieu, in dem er aufgewachsen war, kam es zu der einseitigen Ausbildung der lyrischen Grundstimmung seines Wesens.
Die unbegrenzten, ermüdenden Formen der Landschaft, auf der leicht erregbare, zum Träumen veranlagte Menschen hinvegetieren, ihre Musik, die sich nur in wenigen Molltönen bewegt, und in deren Monotonie sich die Landschaft widerspiegelt, die düstere Pracht der Mondscheinnächte, welche den Landflächen den Charakter des Exotischen, ja beinahe Gespenstischen aufdrückt, alles dies wurde in dem Gehirne des Knaben, bei dem den Kindern eigenen Drange nach Personifikation und Symbolisierung verinhaltlicht. Um jede dieser so gewonnenen Formen gruppierten sich ganze Massen von Stimmungen, Gefühlen, Willensäußerungen, die alsdann als ureigenster Bestandteil der Seele eine wichtige Formation derselben bilden, den Sedimentgesteinen vergleichbar, die in der paläozoischen Bildungsperiode der Erde sich aus dem Urmeere ablagerten und sich zur ersten bleibenden Schicht kondensiert hatten.
Diese melancholischen Eindrücke scheinen bei Chopin den barozentrischen Kernpunkt gebildet zu haben, um den alle später hinzukommenden zu oszillieren anfingen, sie sind es, die in die Seele eines jeden Menschen tief einschneiden, allen Empfindungen eine ganz spezifische Bedeutung und Farbe beilegen, sie in bestimmten Richtungen anordnen, gleichwie durch die magnetische Influenz die durcheinander gelagerten Eisenmoleküle geordnet und nach zwei Polen dirigiert werden.
Seine schwache Konstituation und alle die Krankheitskeime, die allmählich seinen Körper zerstörten, bilden vielleicht das stärkste dynamische Agens in dem Aufbau seines Wesens. All die kleinen und kleinsten Empfindungen des physischen Unbehagens setzten sich in seinem Gehirne, von dem Bewußtsein falsch interpretiert, in Gefühlswerte um, unlokalisierbare Gemeingefühle der Müdigkeit, Abspannung, träumerischen Hindüsterns und weicher Schwärmerei.
Diese minimalen Reize, die zu gering waren, um einen wohl differenzierten physischen Schmerz hervorzurufen, haben doch nach und nach jene fatale Spannung seines Gehirns erzeugt, derjenigen einer Gasmasse ähnlich, die auch nur aus den zahllosen minimalen Anstößen der hin– und herfliegenden Molekeln sich summiert, um allmählich zur höchsten kinetischen Energie anzuwachsen.
Die ungesunde Kultur, mit der alle Verhältnisse, in denen er lebte, durchtränkt und durchsättigt waren, die landschaftliche Umgebung und seine frühesten Eindrücke, Vererbung und Krankheitskeime haben in ihm allmählich jene Sehnsucht gezeitigt, die sich wie ein Niederschlag in seinem Gehirne festsetzte, durch den jedes Gefühl erst hindurchfiltriert werden mußte und von dem es einen eigenen Ton, einen eigentümlichen Beigeschmack erhielt. Bei der ihm eigenen Leidenschaftlichkeit bildete diese Sehnsucht gleichsam ein Meer von strahlender Wärme, die alles in ihm zersetzte und auflöste, einen Herd vom verzehrenden Saugstoff, der alles absorbierte: in seiner Seele wurde alles zur Sehnsucht.
Doch diese Sehnsucht Chopins hat nichts gemein mit der, die gesunden Naturen das Herz schwellt und lebensfähige Keime in dem trächtigen Mutterschoß trägt, es ist auch nicht die Sehnsucht des Zarathustra, die in sonnetrunkener Entzückung unbekannten Göttern ihr extatisches Rausch-Evoë zujauchzt — sie ist ganz eigener Art. Sie hat die kranke Farbe der Anämie mit der transparenten Haut, durch die man das feinste Geäder hindurchschimmern sieht, die schlanke Gestalt mit den länglichen Gliedern, die in jeder Bewegung die unnachahmliche Grazie degenerierter Adelsgeschlechter atmen und in den Augen die übergroße Intelligenz, wie man sie bei Kindern sieht, denen der Volksmund kein langes Leben verspricht.
Sie ist die zitternde Nervosität der Überfeinen, eine beständige, schmerzhafte Erregbarkeit bloßgelegter Wunden, ewiges Anschwemmen und Zurückfluten einer krankhaften Sensibilität, ein stetes Unbefriedigtsein des Raffinement, die Müdigkeit der Überempfindlichen, in deren Auge das Sonnenlicht nur prismatisch gebrochen und die starken satten Farben erst gleichmäßig abgetönt hineingelangen können.
Sie ist aber auch wilde Leidenschaft, sie ist Krampf und Agonie der Todesangst, Selbstflucht und Zerfallsdrang, Delirium und idiotisches Hinträumen, wo man vor sich hinstarrt, ohne irgend etwas zu sehen. Wohl werden Lichteindrücke empfangen, aber man erkennt sie nicht als von außen kommend, man muß sich erst besinnen, was heute, was gestern ist.
Die Krankheit Chopins hat sich in seiner Musik umgesetzt in eine grenzenlose Müdigkeit. Es ist die Müdigkeit der Schwindsucht mit ewig wechselnden Stimmungen, die wie stille Herbstwinde über nackte öde Felder streichen, dürres Laub vor sich fegen und die Natur mit düsteren, monotonen Mollakkorden zu Grabe tragen. Es ist die Müdigkeit des lustsatten Wehs mit dem feinen trüben Lächeln um die Mundwinkeln, der trostlos öden Langeweile sonnverbrannter Grassteppen, dem leisen Hin– und Herwogen endloser Meere, die sinnende, brütende Idiotie des Gebetes. —
Es gibt dann in der Musik Chopins eine Stimmung von geradezu überwältigender Wirkung. —
Es ist ein „je ne sais quoi” vom Gefühl, das dem einer Befreiung ähnlich ist, einem tiefen Aufatmen nach der Dyspnoe, es ist als ob sich eine feine, spinngewebige Haut von der Seele loslöste, es ist als ob ein feiner Nebel am herbstlichen Morgen von den Feldern zurückwiche, sich langsam hebe, weißen Gaswolken vergleichbar, und über die aufwachende, dampfende, weißglitzernde Landschaft langsam die Sonne mit ihrer kalten, skeptischen Klarheit aufginge.
Das sind die gröbsten, psychologischen Umrisse seiner Musik und nur in einer solchen konnte die ungeheure Reichhaltigkeit der menschlichen Empfindung, die zartesten Feinheiten, die ewig wechselnden Nuancen der Stimmungen, das Unausdrückbare, Rätselhafte, Flüchtige und Gespenstische im Menschen geoffenbart werden.
Ausgerüstet mit Nerven, deren „Anspruchsfähigkeit” so übermäßig gesteigert war, daß auf den geringsten Reiz vulkanische Explosionen erfolgten, mit den krankhaft gesteigerten Sinnen, den allerfeinsten Fühlhörnern vergleichbar, die selbst dort zum Vorschein kommen, wo die menschlichen Werkzeuge schon längst ihren Dienst versagten, wußte er jedes Gefühl, das sich kaum über die Schwelle des Bewußten hinaufgewagt, in seinen Tönen fest zu magnetisieren. —
Jede Stimmung, deren man sich sonst nicht bewußt wird, rief in seinem Gehirne auf rätselhaftem Wege eine zugehörige Klangfarbe hervor, jedes seelische Ereignis, mochte es noch so zart und flüchtig sein, prägte sich sofort in entsprechenden Tonwert um. Und es scheint, als ob das Gesetz von der spezifischen Energie der Sinnesorgane für ihn keine Geltung hätte, als ob es in diesem ewig fiebernden Gehirne irgend einen Punkt gäbe, in dem alle Empfindungen zusammenliefen, irgend eine Verbindung der Sinnesorgane unter einander derart, daß eine Licht– oder Geschmacksempfindung ohne weiteres auf die Gehörnerven überginge. —
Und vermöge dieser Eigenschaft bedeutet Chopin eine känogenetische Entwicklungsstufe par préférence, neu auftauchende Züge in der geistigen Physiognomie des Menschen, neue Leitungsbahnen, die im Menschengehirne erschlossen wurden, eine enorme Bereicherung des Gemütslebens: an Chopin kann man studieren, um wie viel der moderne Mensch an neuem Empfindungsleben seinem Vorgänger, wie er sich in der klassischen Musik offenbart, überlegen ist.
Hier zum ersten Male hat der arriére-fond der Seele Ausdruck gefunden, ein bisher unbekanntes Leben, von dem das Bewußte der verschwindend kleine Teil ist, ein direkt zweites Leben, das sich nur reflexiv äußert, worin wir aber den Grund und die Ursache aller unserer Lebensäußerungen zu suchen haben, — das ist der hypothetische Erdmagnetismus, der die Ablenkungen der Magnetnadel erklärt, der Weltäther, der uns die Schwingungen der Atome begreiflich macht, die elektromotorische Kraft, die das Überspringen der Elektrizität vom positiven zum negativen Potential unserem Verständnisse näher rückt.
Doch Chopin reflektiert nicht, er hat diese Arbeit seinem großen Nachfolger — Nietzsche — überlassen, er selbs tschildert nur, lebt nach, läßt fremde Nervenströme durch sein Gehirn passieren.
Und dies gerade, daß er selbst der Mann beständiger Erschütterungen, brodelnder Gährungen, fiebernder Delirien, extatischer Verzückung und irrsinnigen Trübsinnes ist, hat ihn zum bedeutendsten Psychologen der hysterischen Seele, der Spasmen kranker Nerven, der irritierenden Qualen, der unlokalisierbaren Schmerzen, der zitternden Unruhe gemacht. —
Es gibt eine Stelle in seinen Werken, die die beste Illustration zu meinen Worten bildet.
Ich meine das Ende des Sostenuto-Teiles im H-moll-Scherzo: In der brütenden, so endlos schmerzlichen Monotonie plötzlich ein schriller Akkord von grandioser Wirkung.
Dieses unmittelbare Aufkreischen mitten in dem dumpfen Hinträumen in einen schweren, traumlosen Schlaf hinein, dieser physisch-brutale Aufschrei in der Agonie des Schmerzes, dieses heisere, gelle Auflachen mitten in dem düsteren Ernst einer nächtlichen Herbstlandschaft, gibt uns bessere Auskunft über die Nachtseiten des menschlichen Empfindungslebens,
Uwagi (0)