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Stanisław Przybyszewski Zur Psychologie des Individuums

 

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ISBN 978-83-288-3772-0

Zur Psychologie des Individuums Strona tytułowa Spis treści Początek utworu I. Chopin und Nietzsche I II III IV V VI VII VIII II. Ola Hansson I II III IV V Przypisy Wesprzyj Wolne Lektury Strona redakcyjna
Zur Psychologie des Individuums
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I. Chopin und Nietzsche
I

Wie sagt doch Zarathustra in seiner erhabenen Sternenweisheit?

„Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. — Was habt ihr getan, um ihn zu überwinden?

Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als den Menschen überwinden?”

Es gibt nichts, das die Tragik des menschlichen Intellektes deutlicher offenbarte, als diese Worte.

Kant, der Gott die Existensberechtigung entzogen, erfand einen neuen Beweis für sein Dasein, Schopenhauer, der das Phantom der Willensfreiheit weggeblasen hatte, konnte nicht mehr die Verantwortlichkeit überwinden und schuf für sie in seinem „intellektuellen Gewissen” eine neue Stütze, und Nietzsche, der Freieste unter den Freien, er, der leichte Füße, fließenden Rhythmus und rasches Tempo lehrte, mußte sich den Übermenschen schaffen, als Beruhigung, Tröstung, eine Art Ruhekissen, auf dem er sein müdes, überhitztes Haupt niederlegen könnte.

Doch wie der Kliniker zwischen Wahn– und Zwangsvorstellungen unterscheidet und den ersteren Illusionen beizählt, die als reelle Empfindungen aufgenommen, den letzteren Wahngebilde, die als solche von dem Kranken erkannt werden, so ist auch hier dieselbe Unterscheidung vorzunehmen.

Kant und Schopenhauer begingen ihre Irrtümer mit vollster Überzeugung, sie glaubten nur strenge Konsequenzen zu ziehen, ob aber Nietzsche an das Phantom, das er in schweren Stunden der Verzweiflung geschaffen hatte, auch tatsächlich glaubte?

Ob er nicht dabei resigniert lächelte, und mit milder Selbstironie sich das vorrezitierte, was er einst über Erlösungsbedürfnis und den — Katholizismus der Gefühle schrieb?

Und das eben, was mich veranlaßt, Kant, Schopenhauer und Nietzsche zu sondern, ist es auch, was den Individualismus von gestern und den von heute unterscheidet.

Das Individuum1 des Altertums und des Mittelalters war eine machtvolle Persönlichkeit, voll überschäumender Kraft, die regelmäßig in Wahnsinn ausartete, voll unerschütterlichen, rücksichtslos fanatischen Glaubens, glühender Begeisterung und brutalen Orgiasmus: dieses Individuum war ein Raubtier, Delirant und Gott zugleich und diese Art von Individuen waren es, welche den Wahnsinn zum Ausgangspunkte aller religiösen und staatlichen Handlungen machten, sie waren es, welche vermöge ihrer dämonischen Suggestionsmacht die gewaltigen Massenpsychosen in Szene setzten: die Kreuzzüge, die Religionskämpfe und noch zuletzt die französische Revolution.

Mania und Glaube kennzeichnen diesen Individualismus.

Der Individualismus von heute hat außer demselben Ursprunge, dem intensen Willen zur Macht, nichts mit dem früheren gemein.

In einer Zeit, wo die Herdeninstinkte sich zu einem mächtigen Gefühl der Zusammengehörigkeit kondensiert haben, wo die Rechte eines jeden Menschen genau abgegrenzt sind, wo jede Machtäußerung als ein Übergriff an diesem Rechte empfunden und zurückgewiesen wird, wo alles, das über das Niveau des Althergebrachten, Gewöhnlichen, Alltäglichen hinausreicht, als schädlich und gemeingefährlich bekämpft werden muß, ist an die Machtentfaltung der herrschsüchtigen Instinkte, an den Auslöser der tatengierigen Kräfte, an die Geltendmachung der über das Maß hinausgehenden Anlagen nicht zu denken.

Für das Individuum, das dermaßen organisiert ist, gibt es in der „Gesellschaft” keinen Platz. Und weil ein solcher Mensch alles, was er am liebsten tun möchte, nicht tun darf, und da ihm für seine Gedanken und Taten die Zustimmung aller fehlt, so wird er zu einer Art Tschandala und Paria: er fängt an, sich als Individuum zu betrachten. —

Was das Individuum von heute auszeichnet, das ist das Gefühl des Über-den-Menschen-seins, das Gefühl, außerhalb der Marktinteressen der Menge zu stehen, das Gefühl über alle Gefühle; seine Instinkte verkümmern, die Quelle seiner Kräfte allmählich versiegen zu sehen — die Geschichte des Individuums wird zu einer traurigen Monographie von gehemmtem Willen und irrgeleiteten Instinkten, einer Geschichte vom langsamen Bergeinsturze, wo das Wasser, das keinen Abfluß gefunden hat, sich in die Tiefe niederschlägt, Gesteinsmassen auflöst, zersetzt, aussaugt und den Fels in seinem innersten Gefüge lockert.

Daher die Sehnsucht nach Befreiung und Erlösung, die gefährliche, flügelrauschende Sehnsucht nach dem Hinüber und Hinauf.

Doch diese Sehnsucht hat aber noch ein distinktes Merkmal: das Bewußtsein der Aussichtslosigkeit, das klare Bewußtsein, daß der ersehnte Gegenstand eine Zwangvorstellung ist.

In ihr spricht sich ein Geist aus, der mit der ätzenden Säure seiner Vernunft alles zerstört, der längst aufgehört hat, an sich selbst zu glauben und sich gegen seine Arbeit mißtrauisch und ablehnend verhält, ein Geist, welcher sich selbst untersucht, sich nicht mehr ernst nehmen kann und über sich selbst hinwegzulachen und auf seinem eignen Kopfe tanzen gelernt hat, der in dem höchsten Raffinement menschlicher Findigkeit unbefriedigte Geist, der endlich nach langem Suchen zu der trostlosen Erkenntnis gekommen ist, daß doch alles umsonst gewesen, daß er über sich selbst nicht hinauskommen kann.

Daher auch die Sucht nach dem Genusse. —

Doch dieser morbiden Genußsucht fehlt die unbefangene Freude an dem Genusse, der sich Selbstzweck ist, und der dem instinktiv empfundenen Überflusse an Kräften entströmt. Das Individuum von heute besitzt nicht solche Instinkte und daher ersetzte es die naive Freude an der Auslösung des Kräfteüberflusses mit dem Verlangen nach Betäubung. Das ganze Leben wird zu einer reinen Betäubungsfrage.

Die Morbidezza eines solchen Genusses, der in dem Sich-betäuben-wollen gipfelt, erklärt dann auch die Art zu genießen.

In der schmerzhaften Anspannung der arbeitsunfähigen Nerven schwingt sich das Individuumdécadent bis zu jener geheimen Grenze hinauf, wo im menschlichen Leben Freude und Schmerz in einander übergehen, wo beide in ihren Extremen zu einer Art zerstörenden Lustgefühls, eines extatischen Außer– und Über-sich-seins werden. Alle Gedanken und Taten nehmen die Formen des Verwüstenden, Maniakalischen an und über allem ruht schwer, bedrückend etwas von der schwülen Athmospähre des nahenden Gewitters, etwas von den schmerzhaften Vibrationen der delirierenden Wollust einer Impotenz, etwas von der hektischen Röte einer Hysterie der Sinne.

Es ist ein klinisches Bild, das ich hier entworfen habe und einem solchen muß naturgemäß die physiologische Betrachtungsweise zu Grunde liegen.

Das Individuum ist in erster Instanz nichts als ein automatischer Oxydationsapparat, dessen ganzes intellektuelles Leben in erster Linie nur eine Einrichtung bedeutet, welche die vegetativen Lebensäußerungen psychisch umzuwerten und zu interpretieren, und so den Einzelnen vor dem Untergange schützt, indem sie ihm das Fördernde als Glücksgefühle, das Schädliche als Mißbehagen und Schmerz umdeutet.

Das psychische Leben aufgefaßt als vergeistigter Geschlechtstrieb, vergeistigte Magenvorgänge, vergeistigte Absonderungs– und Oxydationsprozesse vermag uns auch etwas über die biologische Stellung und Bedeutung des Individuums zu sagen.

Ich glaube hier eine These aufstellen zu können, die nicht weit an der Wahrheit vorbeischießen dürfte:

Je verfeinerter die Instrumente sind, welche die vegetativen Prozesse zum Bewußtsein bringen, je intensiver die Ausdrucksformen dieser

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