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ist dir —? 
  MARIA
heftig
Nicht... nicht rufen!! 
  ANNA
leiser — schamhaft
Doch sieh, mein Schwesterchen, wir wollen auch 
Lieb voneinander Abschied nehmen — 
drängt sie leise von der Tür ab 
bitte, 
So lass mich, Schwester, — du verstehst, ... du liebst 
Ja selber — 
 
Der junge Offizier stürzt herein und bleibt beim Anblick Marias an der Tür stehen, Anna eilt auf ihn zu; Maria zittert heftig, lässt sich regungslos am Spinell nieder, folgt in äußerster Spannung jeder Bewegung des Offiziers; dieser küsst Anna die Hand. Sie löst mit der Linken ein Band aus ihrem Haar und gibt es ihm. ANNA
Hier, nehmen Sie dies Band... 
  DER JUNGE OFFIZIER
betroffen
Fräulein Anna!... 
  ANNA
Ah! — So haben Sie mein Band wohl gar 
Sich nicht einmal gewünscht? Sie zögern ja 
Es anzunehmen —? 
  MARIA
in Träumen
Jenes Band, es war 
Vom Blute rot; vielleicht bracht er es her, 
Hierher... 
  ANNA
zum Offizier
Ich schenke Ihnen Glück und Ruhm. 
  MARIA
laut
Heute morgen, als der Tag erwachte, 
Schmückt ich meinen Ritter mit dem Band; 
Schenkte ihm mein Glück, und mein Verlangen 
Nach dem Ruhm gab ich ihm auf den Weg. 
Meines Helden Schicksal lässt Sie bangen —! 
  DER JUNGE OFFIZIER
nimmt das Band ernst, den Blick auf Maria gerichtet
Mein Leben für mein Vaterland! Das ist 
Das Glück, der Gipfel allen Ruhms. 
 
Maria sieht ihm ins Auge; — geht dann durch die erste Tür rechts ins Nebenzimmer. ANNA
Sie erbleichen, Herr Jan, was ist Ihnen? Warum sind 
Sie plötzlich so blass geworden?  
  DER JUNGE OFFIZIER
nach Marias Abgang, schnell, den Blick auf die Tür gerichtet, durch die Maria gegangen ist

Um Gottes willen, Fräulein Anna, hören Sie mich ruhig an; — Josef ist vor einer halben Stunde gefallen; — heute früh beim Morgengrauen hat der General ihn selbst in eine Stellung geschickt, die er bereits für verloren hielt. Nur aus Eigensinn, um die Unfähigkeit des Fürsten darzutun, befolgte er die erteilten Befehle; — Josef meldete sich dorthin, er bat darum; wusste er doch, dass einer von uns würde gehen müssen. — Von der ganzen Division ist nicht einer übrig geblieben; der Soldat, der vor einer Weile hier war, jener alte Veteran, war, wie sich herausstellte, schwer verwundet; er wollte es sich nur nicht merken lassen. — Draußen auf der Diele wurde er zur Ruhe gebettet; — dieser Soldat überbrachte die Meldung, dass die ganze Division aufgerieben ist.

ANNA
Meine Schwester!  
  DER JUNGE OFFIZIER

Gestern abend, als Josef schon die Erlaubnis vom General erwirkt hatte, bat er ihn, und dabei lachte er, für den Fall, dass er nicht zurück käme, das Band von seiner Brust eigenhändig seiner Braut zurückzugeben ...

Der General versprach es. Wir lachten und scherzten. Niemand von uns ahnte, dass die Stellung dermaßen bedroht war und dass Chłopicki sie für unrettbar verloren hielt ...

Jetzt eilt er selbst dorthin, dem Tode nach, 
Der ihm so viele seiner besten Leute 
Geraubt. Vorn an der Spitze sprengt er hin 
Unsern Schwadronen weit voraus. — Man muss 
Ihn sehen, wie der kriegerische Geist 
Im Taumel ihn gepackt ... 
 
Abmarschsignale
— Hier ist das Band; — 
Der General fand nicht den Mut, es ihr 
Zurückzugeben.  
  ANNA
nimmt das Band
Mein Gott! Ganz blutgetränkt!  
  DER JUNGE OFFIZIER
Leben Sie wohl! 
  ANNA
auf ihn zu, schlingt die Arme um seinen Hals; wirft dabei das blutige Band auf die Tasten des Spinetts
Herr Jan, — mein Lieber ... du ... ach du! 
  DER JUNGE OFFIZIER
presst sie an sich, halt sie umschlungen und dreht sie einige Male herum; setzt sie dann auf einen Stuhl und eilt hinaus; in der Türe wendet er sich um und ruft, aufs Fenster weisend
Viertes Regiment, Anna!  
  ANNA
springt auf schnell
Die Vierer! Lass sehen ... 
 
Eilt ihm nach
Wiederholtes Abmarschsignal, bald lauter, bald leiser, tönt aus verschiedener Entfernung, von der Straße her; vor den Fenstern ziehen Truppen zu Fuß und zu Pferde vorüber. Man sieht die Pferdeköpfe und die Oberkörper der Reiter. Ununterbrochenes Getrappel, Dröhnen und Geklirr. MARIA
kommt aus der Tür rechts; ihre Haare sind in Unordnung; sie geht wie eine Bildsäule; ihre Augen, weit geöffnet, glänzen; — sie schreitet wie im Traum, die Hände leicht vorgestreckt
Ich weiß, ich weiß. 
Sie wagen nicht vor mir zu sprechen. — 
Ihr schweigt; doch ich errate, lese in euren Mienen; 
Seht mir ins Auge, ich errate alles ... 
Sausen, Dröhnen — so viele Männer ... Männer 
Allbeieinander ... 
 
öffnet mechanisch beide Fenster; die vorüberreitenden Offiziere und die Truppen sehen sie. Gesang der vorüberziehenden Truppen
„Adler, flieg mit leichten Schwingen, 
Polens Ruhm und Hort der Welt...” 
  MARIA
geht zum Spinett; als sie die Tasten berührt, schlingt sich das Band um ihre Finger, das blutigrot sich über die Tasten schlängelt; — schluchzend fällt sie vornüber auf die Hände, auf die Tasten. Dumpf stöhnen die Saiten des Spinetts und seufzen. — Man hört Marias Schluchzen — Sie hebt den Kopf ein Strom überirdischer Kraft geht durch ihren Körper: sie strahlt gleichsam davon; — sie spielt kraftvoll und singt
„Adler, flieg mit leichten Schwingen, 
Polens Ruhm und Hort der Welt. 
Frei wird, wem die Glocken klingen, 
Frei ist, wer im Kampfe fällt.” 
 
Erhebt sich vom Spinett und geht zum Fenster
„Dien dem Ruhme, Adlerbrut. 
Reiß die Brust und hack das Herz. 
Weiß Gefieder tränk in Blut; 
Eile, fliege himmelwärts. 
Nimm die blutgen Opfer hin: 
Da die Deinen, da die Deinen 
Hoch zu Ross, in Waffen starr 
Folgen dir — immerdar. 
Eile, fliege, Heldentum, 
Nach dem Ruhm, dem Ruhm, dem Ruhm!!!” 
 
Zittert, wankt am offenen Fenster, die Hand gegen die Vorüberziehenden ausgestreckt; Anna stürzt herein. ANNA
schließt das Fenster links; dann
Die Fenster zu! Wie kalt! Oh, deine Hände 
Sind ja wie Eis! Du bist ja außer dir ... 
  MARIA
streckt die Hand gegen die Vorüberziehenden aus
Aus tausend Wunden der gequälten Erde 
Spritzt rotes Blut; — Blut unsrer Brüder färbt 
Die ungebornen Saaten in dem Schoß 
Der Erde rot. Rings atmet roter Dampf. — 
Wer ists, der mit allmächtiger Gebärde 
Euch ruft zum Kampf, 
Damit ihr sterbt 
Und meines Liebsten Los 
Euch werde? — 
Siehst du sie zu den Gräbern ziehen? 
Da werden Kreuze blühen, 
Wo Sträucher unter frostgen Steinen 
Jetzt weinen. 
  ANNA
weicht entsetzt von ihr zurück
Maria, welche Worte? Gott! Maria!! 
Sie ziehen für ihr Vaterland hinaus 
Und du stößt solche harten Worte aus, 
So schrecklich harte Worte, Schwester — 
  MARIA
besinnungslos
Sieh! Ihnen im Gefolge, über ihnen 
Wer ists? — Schneeflocken tanzen einen Reigen 
Im Sonnenlicht, — die Sonne zieht sie an, 
Sie eilen, eilen alle Mann für Mann. 
Ah! Siehst du dort die weißen Adler steigen, 
Die weißen Adler, hunderte an Zahl? 
Es scheint der Adler eine dichte Wolke. 
Siehst du auf ihrer Brust das rote Mal? 
  ANNA
Schwester!  
  MARIA
Fluch! Fluch! höchste Lust!! 
Rasender Schmerz zerreiß mir die Brust; 
Was kann dein Lieben mir geben. — Hörst du sie singen, hörst du es klingen, 
Es sind die Adler, — die Adler, die singen, 
Sie singen, sie schwingen, sie weben. 
Sieh dort oben, dort oben im Schnee, 
Dort auf der sonnedurchglühten Höh: —  
Adler fliege, flieg Adler, flieg! 
 
Gesang der vorüberziehenden Truppen
„Adler, flieg mit leichten Schwingen, 
Polens Ruhm und Hort der Welt.” 
  MARIA
Mein Herz ist tot, 
Weck auf mein Herz, — 
Schwester ... ich fühl es nicht mehr. — 
Gib mir die Hand — tot — alles tot. — 
Rufe doch, schreie ... wecke mich auf; 
Gib mir mein Fühlen zurück. 
Sieh, meine Hände sind kalt und steif 
Und die Gedanken erstarren zu Eis. 
— — — — — — — — — 
Ah! was seh ich? Und was wollt ich —? — 
Forderte den Ruhm heraus! 
Mit dem fluchbeladnen sollt ich 
Tränen ernten, Nacht und Graus: 
Und er nahm mein Herze sich 
Mit der eisgen Hand. — Hat wie eine Blume mich 
Mitleidlos verbrannt. 
 
Die Schwester führt sie in die rechts gelegenen Zimmer.
Gesang der voriiberziehenden Truppen
„Adler flieg mit leichten Schwingen, 
Polens Ruhm und Hort der Welt.” 
 
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Vorbemerkung

Die dramatischen Werke des leider dem deutschen Publikum völlig unbekannten Neuromantikers Stanisław Wyspiański, eines der stärksten Talente der letzten Zeit, erscheinen in deutscher Bearbeitung von Dr. St. v. Odrowonsch innerhalb der von Dr. A. v. Guttry und W. von Kościelski begründeten und herausgegebenen „Polnischen Bibliothek”.

Der bekannte Literarhistoriker W. Feldman schreibt in dem Vorwort zu den Werken Wyspiańskis über die „Warschauerin”:

„Der polnische Aufstand vom Jahre 1830/31 musste auf den Dichter seinen Zauber ausüben: Wyspiańskis durchaus männlicher Natur entsprach dieses Bild des polnischen Heroismus mehr, als der Aufstand vom Jahre 1863, wo keine nationale polnische Armee bestanden hat und wo das Volk in erster Linie als Dulder erscheint. Im Jahre 183o/31 kämpften noch an der Spitze des Aufstandes Generäle, deren Namen schon in den Napoleonischen Kriegen mit Ruhm bedeckt waren: ein Chłopicki, ein Skrzynecki, ein Chłapowski, ein Dwernicki und andere und auch der jüngere Nachwuchs war ihrer würdig. Sie errangen Siege über die Moskowiter, die in ganz Europa Bewunderung auslösten. Auch das Malerische, Dekorative des Aufstandes von 183o musste der Eigenart der Wyspiańskischen Phantasie zusprechen. Der Dichter und Maler hing deshalb an dem Jahre 183o; der Denker musste sich indessen die Frage vorlegen, weshalb, trotz der glänzendsten Führer und ihrer Siege — der Aufstand selbst mit einer Niederlage endete. Der Seher sah aber auch in diesen traurigen Bildern die Anzeichen einer freien, besseren Zukunft.

Nicht Drama, sondern „Lied aus dem Jahre 1831” heisst das erste Stück, das am 29. November 1898, dem Gedenktage des Novemberaufstandes, in Krakau aufgeführt wurde. Zum ersten Male hat der Dichter damals von der Bühne aus gesprochen; der Eindruck — besonders auf die Jugend — war groß und anhaltend. Keine Spur von der herkömmlichen Technik der „Einakter”, keine Spur des üblichen patriotischen Schlagers. Glänzend im malerischen Sinne des Wortes gestaltet sich das Bühnenlied: der Empire-Salon, die Gesellschaft der illustren, auf allen Napoleonischen Schlachtfeldern erprobten Helden, die tiefergreifende Handlung, die doch weit davon entfernt war, Bühnenhandlung im gewöhnlichen Sinne des Wortes zu sein, die Neuheit und der Flug der Gedanken, mussten hinreißen. Zwei Welten kreuzen sich hier: die klassizistische Empirewelt der alten Generäle, die nur den Tatendrang und den Sieg kannten, und die junge, von Byron und der Romantik durchwehte Welt, die sich von der Sehnsucht nach Ruhm und dem Heldentod leiten lässt ... Wie viel dramatischen Inhalt wusste der Dichter hier einzuflechten! Individuelle Tragödien: Marie, die ihren Bräutigam um des Ruhmes willen in den Kampf schickt, erfährt seinen Tod und verwandelt sich unter diesem Eindruck in eine polnische Kassandra; der harte, rücksichtslose Soldat Chłopicki hat zuerst den Bräutigam Marias in den sicheren Tod gesandt, leichten Herzens, um die Unfähigkeit des kommandierenden Generals zu erweisen — die Verzweiflung Marias umgibt aber auch diesen Soldaten mit einer weichen, romantischen Todesstimmung. Und die tragische Schuld, die auf den Führern lastet und die Niederlage der ganzen nationalen Bewegung bedingt? „Jeder von ihnen war als ob er geistig krank sei” — urteilt Kasimir der Große in dem Poem gleichen Namens; das lässt sich auch hier wiederholen. Ihnen fehlt der Glaube,

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