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diesen Dummköpfen als eine Art Dämon aus dem Osten zu erscheinen. Diese Rolle mögen die reichen Juden aus Kischinew, Odessa und Riga spielen, die nichts anderes wünschen, als in Berlin geboren zu sein. Wie er sie so sah, Gesicht an Gesicht, Physiognomien, die aus Glatzen entstanden zu sein schienen, von Friseuren modelliert, als hätten diese nicht nur Haare, Bärte und Bartlosigkeit herzustellen, sondern auch Nasen, Stirnen und Münder — begann er zum erstenmal zu begreifen, daß ihn eine einzige Leidenschaft getrieben hatte, Geld zu machen, eine einzige Leidenschaft, die stärker sein kann als alle ihre Schwestern: die Verachtung. Man kann von ihr ergriffen werden wie von der Liebe, vom Spiel und vom Haß. Man kann eine „tödliche Verachtung” fühlen. Es hatte dieser belichteten Reihen dichtgesäter Gesichter bedurft, damit Brandeis sich seiner Leidenschaft bewußt werde, ebenso wie man sich beim Anblick eines Menschen seiner Liebe bewußt werden kann. So viele, die er nicht kannte, grüßten ihn. Sie wußten, daß er sie nicht kannte. Dennoch lächelten sie ihm zu, beschworen ihn, ihnen zu erwidern. Sie hatten die zudringliche Untertänigkeit der Leute, die für wohltätige und öffentliche Zwecke Geld sammeln. Sie strecken die Hände aus und haben Angst, man könnte sie mit Bettlern verwechseln. Da war die Pause. Sie gingen im Kreis in einem Wartezimmer auf glattgebohnertem Parkett und fürchteten auszugleiten. Zwischen der Unsicherheit ihrer Füße, die in den neuen Stiefeln mit allzu glatten Sohlen steckten, und dem Gefühl der Vornehmheit, das sie vom Namen des Staatstheaters, von der Livree der Platzanweiser und von ihren eigenen Smokings bezogen, bestand noch ein leerer Raum, den ihre Körper vergeblich auszufüllen suchten. Die Leiber verschwanden zwischen den festlichen Gesichtern und den gleitenden Füßen. Wie ein kreisender Rahmen schwankten sie um das leer gebliebene, spiegelnde Oval der Parkettmitte, das niemand zu betreten wagte aus Angst, allein zu sein. Brandeis erinnerte sich an jenen Sonntag, an dem er den politischen Umzug auf dem Kurfürstendamm betrachtet hatte. Auch damals hatten sie die Mitte frei gelassen. Mit denselben Gesichtern umschritten sie die Pause im Theater. Die Windjacken lagen in der Garderobe. Verwandelt waren nur die Arme. Sie schlenkerten nicht. Sie hingen wie schwarze Prothesen am Smoking. Von den Abendkleidern der Damen, welche die Schönheitspflege manifestierten, fiel sachte ein bunter Widerschein auf die weißen Gesichter der Männer, das Farbenspiel eines gesellschaftlich gehobenen Geschlechtsverkehrs. Jeder fühlte, daß er einer Premiere beiwohnte. Jeder war froh, daß ihr auch der andere beiwohnte. Denn erst zusammen ergaben sie das bunte Bild für den Vorbericht des Theaterreferenten.

Brandeis vermißte hier seinen jüngsten Direktor, Paul Bernheim, und dessen Bruder Theodor. Das ganze bunte Bild wäre von Paul und seiner jungen Frau nach Brandeis’ Meinung noch heftiger belebt worden. Von anderen Bekannten war nur der Theaterkritiker des demokratischen Blattes zu sehn, das von Brandeis abhängig war. Aber der Kritiker kannte seinen Brotgeber kaum, nur Handelsredakteure wissen Bescheid. Die Beschäftigung mit der Kunst macht die Menschen harmlos. Bernheim ging vielleicht gar nicht zu Premieren, Bernheims gesellschaftliche Stellung erlaubte es vielleicht gar nicht mehr. Ich werde ihn einladen, dachte Brandeis. Ich werde ihn mit Lydia bekannt machen. Hoffentlich verliebt er sich.

Die junge Frau Bernheim war für zwei Wochen zu ihrem Onkel Enders gefahren. Eine kleine Familienfeier, nichts von Bedeutung, Paul Bernheim hatte sich mit einem eintägigen Besuch begnügt. Zum erstenmal betrat er Brandeis’ Haus. Zum erstenmal sah er die Frau, mit der Brandeis lebte. Er kam, erfüllt von den Gerüchten, die von der kaukasischen Fürstin verbreitet wurden und an die er glaubte. Denn es ist in einer Zeit, in der die Wahrheiten selten werden, nichts so glaubhaft wie ein Gerücht; und je billiger und abenteuerlicher es klingt, desto bereitwilliger empfängt es die Phantasie der romansüchtigen Menschen.

Paul Bernheim gehörte zu den gläubigsten Empfängern romanhafter Gerüchte. Er sammelte sie, wie er Anekdoten sammelte, in einem ledergebundenen Büchlein mit Goldschnitt, in das er verborgen zu schauen pflegte, bevor er zu erzählen begann. Sauber geschieden waren in seinem Gehirn die sogenannten Geschichten von der sogenannten Wirklichkeit. Aber es machte ihn glücklich, wenn eine Geschichte in die Wirklichkeit seiner Umgebung hineinspielte. Nach der Art der Europäer, die geographische Begriffe literarisch werten, hielt er den Osten für rätselhaft, den Westen für gewöhnlich. Und der Osten begann gleich hinter Kattowitz und reichte bis zu Rabindranath Tagore. In diese Region placierte er Brandeis. Etwas östlicher lag Lydia. Sie war nämlich eine Frau und nach Tekelys Erzählungen aus dem Kaukasus und wahrscheinlich fürstlichen Geblüts. Der Kaukasus allein hätte schon genügt.

Man liebt nicht die Frauen, man liebt die Welten, die sie repräsentieren. Obwohl Lydia ein europäisches Gesicht hatte und ebensogut in Köln wie in Paris wie in London zur Welt gekommen sein konnte — in Wirklichkeit war sie aus Kiew —, sah Paul Bernheim in ihr den „kaukasischen Typ”, und da er noch keine Ahnung von ihrer Vergangenheit im Grünen Schwan hatte, verlieh er ihr im stillen prompt die Marke: echte, distinguierte, köstlich fremde Dame. Seine Lust, sich selbst seine Welt– und Frauenkennerschaft zu bestätigen, trieb ihn zu frühen und flinken Formulierungen. Ja, während er die Frau für sich charakterisierte, hörte er sich schon laut von ihr erzählen, und zu der Bewunderung, die er für den Kaukasus und dessen Kinder empfand, addierte er noch jene, die ihm selbst von seinen fiktiven Zuhörern gespendet wurde. Er war so glücklich über den Eintritt einer Geschichte in seine Wirklichkeit, daß er jene noch erweiterte und diese vernachlässigte. Er gehörte selbstverständlich zu den Männern, die sich mit einem Schlag verändern, wenn sie in die Nähe einer Frau kommen, an deren Eroberung ihnen einmal gelegen sein könnte. Ein echtes Exemplar der Gattung Gesellschaftsmänner, das er war, holte er seine alten Charmeurtugenden hervor, und er begann, Geschichten aus jenem Oxford zu erzählen, das niemals seine Wirkung auf Männer und Frauen verfehlte. Er war seit mehr als einem Jahr der erste fremde Mann, mit dem Lydia sprach. Sie verglich den massiven, schweigsamen Nikolai Brandeis mit dem beredten und unaufhörlich bewegten Paul Bernheim. Es gab im Verlauf dieses Abends sogar ein paar Augenblicke, in denen zwischen ihr und Paul ein geheimes Einverständnis gegen Brandeis zu schweben schien. Als Paul fragte: „Sie haben selten Gäste?”, antwortete sie sehr schnell: „Niemals!”, so schnell, daß sie zu verstehen gab, daß sie diese Frage erwartet hatte. Brandeis sagte darauf leise: „Ich liebe keine Fremden.” „Und Sie, gnädige Frau?” fragte Bernheim. Darauf gab sie keine Antwort. Nikolai Brandeis’ Augen waren unbeweglich, mit offenen Lidern auf den Tisch gerichtet, aber sie umfingen auch die Wände, die im Schatten standen, und die beiden Menschen neben ihm, und ihr hartes, wachsames Licht durchströmte den ganzen Raum. Wie es seine Art war, hielt er beide Ecken des Tisches mit seinen großen Händen fest, so als wollte er sich auf sie stützen, um sich zu erheben. Aber manchmal schien es Paul, daß Brandeis im Begriffe war, den Tisch umzustoßen. Deutlich fühlte er auf einmal seinen Haß gegen Brandeis; als hätte es erst dieser Frau bedurft, um dem Verhältnis zwischen den beiden Männern eine Klarheit und einen Namen zu geben. Sein erstes Gefühl war Neid. Der fremde Mongole — sagte sich Paul, und er verwendete dabei, ohne es zu wissen, die Terminologie seines Bruders Theodor — besitzt diesen jungen Körper jede Nacht. Denn er betrachtete natürlich den Beischlaf als eine Bestätigung dafür, daß der Mann besaß und die Frau besessen wurde. Dieser Mann, dachte er weiter, den nichts anderes treibt als die Gier, Geld zu verdienen, behandelt die Frau nach östlichen Manieren und sperrt sie in einen Harem ein. Gewiß ist er eifersüchtig. Wie sollte er auch in meiner Anwesenheit nicht eifersüchtig sein? Bis jetzt war es Paul Bernheim gelungen, den hartnäckig immer wieder auftauchenden Gedanken, daß er seinen Aufstieg Brandeis zu verdanken habe, hurtig zu verscheuchen. Er bekam hundertfünfzigtausend Mark jährlich Gehalt, dafür arbeitete er drei Stunden im Tag und repräsentierte. Seine Konferenzen mit Krankenkassen, mit Betriebsräten und Versicherungsgesellschaften betrachtete er ohnehin als seiner unwürdig. Er hegte gegen Brandeis den Verdacht, daß er absichtlich einen so gefährlichen Mann wie Paul Bernheim vom sogenannten „Außendienst” fernhielt und besonders vom Verkehr mit Banken. Während doch gerade die Banken sozusagen Pauls richtiges Fach waren. Es ärgerte ihn, daß Brandeis so schnell und sicher Theodor geholfen hatte. Er beneidete seinen Bruder beinahe um diese Stellung in der Redaktion. Denn er selbst, Paul, hatte sich doch zu einer direkten, öffentlichen Wirkung berufen gefühlt. Und was hätte es Brandeis geschadet, Paul Bernheim zu einem der drei mächtigen Verlagsdirektoren zu machen? — Er fürchtet mich! tröstete sich Paul, während in ihm selbst die Furcht vor Brandeis wach wurde wie ein alter Schmerz. Sehr ferne und verschwommen tauchte die düstere Erinnerung an Nikita Bezborodko auf. Noch gestand er es sich nicht ein. Aber schon suchte er nach einem schwachen Punkt im Leben seines Feindes. Seiner eigenen Schlauheit glaubte er diese Einladung in das Haus zu verdanken, die er selbst einen „Einbruch” nannte. Natürlich hatte Brandeis einen „schwachen Punkt”. Diese Frau eben. Die Romane, in denen ein großer Geldmann vergeblich um die Liebe einer kleinen Frau wirbt, bis er sie schließlich an einen gewandten Kenner der Frauenseelen verliert, hatten die psychologischen Fähigkeiten Bernheims gebildet. Schon glaubte er die ganze Entwicklung der Dinge vorauszusehen. Auf diesem Gebiet, wenn auf keinem anderen, war er Brandeis gewachsen. Hier wollte er sich rächen. Da er aber sentimental genug war, sich ohne eine moralische Deckung nicht rächen zu können, hielt er es für notwendig, Lydia zu lieben. Und also liebte er sie.

Gleich am nächsten Tage wollte er mit beiden im Auto spazierenfahren. Er erwartete, daß Brandeis ablehnen werde. Aber Brandeis sagte zu.

Am nächsten Tag ließ er sich allerdings entschuldigen. Er bat Bernheim, Lydia allein auszuführen. Sie fuhren mit der Geschwindigkeit von siebzig Kilometern. Eine Schnelligkeit, die von allen modernen Schriftstellern, welche die Beziehungen zwischen den menschlichen Herzen und den Motoren studiert haben, für ähnliche Situationen vorgeschrieben ist. Paul, der seit seiner Heirat angefangen hatte, sich wieder mit der zeitgenössischen Literatur zu beschäftigen und sogar mit Schriftstellern zu verkehren, kannte sich vortrefflich in der Ausbeutung der Naturschönheiten mittels eines beschleunigten Tempos aus. „Jeden zweiten Tag rase ich so durch die Welt dahin”, sagte er zu Lydia. „Das Automobil hat uns die Natur erst richtig sehen gelehrt. Es ist herrlich, wie die Straße, die Bäume, die Häuser verschlungen werden. Mein Chauffeur ist ein Feigling. Über fünfundfünzig, sechzig kommt er nicht hinaus. Ich aber denke: Wer so schnell arbeitet, muß auch schnell genießen. Gefährdet sind wir den ganzen Tag, auch wenn wir ruhig im Büro sitzen. Aber glauben Sie mir: Ich möchte die Gefahr gar nicht missen.” „Sie waren sicher im Krieg?” „Vier Jahre, Kavallerie.” „Sie reiten leidenschaftlich?” „Einmal, zweimal in der Woche. Wollen Sie mit mir ausreiten, gnädige Frau?” „Ich fürchte mich etwas.” „Doch nicht in meiner Gesellschaft? Wir geben Ihnen ein frommes Tier!” In Lydia Markownas Erinnerung erwachten die Photographien aus einer Serie „Die Dame zu Pferde”, die auf Glanzpapier und blaugrün schimmernd in einer „führenden” Modezeitschrift erschienen war, neben einer andern Serie, „Mutter und Kind”, und einer dritten, „Ehen in der Gesellschaft”. Sie sah die diskreten Texte unter den Bildern: „Frau Generaldirektor Blumenstein” und „Gräfin von Hanau-Lichtenstern zu Roß” oder „Beim Morgenritt” oder „Im Herrensattel”. Und alle Vorstellungen von Vornehmheit, die sich aus Mangel an lebendigem Material auf die Klischees der Photographen, in die Redaktionsstuben der illustrierten Zeitungen und in die Aufnahmeateliers der Filmgesellschaften gerettet zu haben schien, erwachten in dem Gehirn Lydia Markownas und entzündeten in ihr einen gesellschaftlichen Ehrgeiz. Wo gäbe es die Tochter eines Uhrmachers aus Kiew, die solchen Lockungen nicht erlegen wäre? Denn ihr Vater war ein Uhrmacher gewesen, sie selbst hatte sich schon in jungen Jahren berufen gefühlt, in eine höhere Klasse aufzusteigen, und Gedichte von Puschkin, verbunden mit einem normalen schauspielerischen Talent, sollten ihr dazu verhelfen. In dem Sommer, in dem Nikolai Brandeis aus der Roten Armee desertierte, starb der Vater Lydias. Sie flüchtete. Sie geriet als Kellnerin in ein russisches Restaurant, wo sie die Trinkgelder zurückwies und infolgedessen, und weil die Phantasie der Besucher auffallender Beispiele für die Grausamkeit der Revolution bedurfte, in den Ruf einer Fürstin geriet. Es war das Restaurant, in dem ein paar Emigranten, frühere Schauspieler, den Grünen Schwan gründeten. Sie nahmen Lydia mit. So erfüllte sich auf Umwegen ihr Wunsch. Es war zwar nicht das Moskauer Akademietheater, dessen Mitglied sie wurde, aber immerhin ein Theater. Da alle ihre Kameraden paarweise lebten, sie allein und Grigori, der Kosak, einzeln schliefen, legte sie sich nach einigem Zögern zu diesem. Die Truppe ersparte die Miete für ein Hotelzimmer. Als sie Brandeis folgte, ahnte sie einen phantastischen Aufstieg. Aber statt, wie sie gehofft hatte, mit Hilfe eines reichen und verliebten Mannes endlich in die erträumten Sphären einer „großen Welt” zu gelangen, wurde sie selbst das verliebte Mädchen eines schweigsamen und also gefährlichen, unverständlichen und ewig fernen Gebieters. Sie war eifersüchtig auf diese langen Tage, die Brandeis irgendwo verbrachte, sie wußte nicht, wo. Denn er hatte ihr verboten, ihn während des Tages aufzusuchen. Sie überlegte, ob sie es wagen dürfte, sich

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