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ich, ich habe nicht ein einziges Leben hinter mir, sondern zwei oder vielleicht mehr. Und ich fühle seit einiger Zeit, daß ich wieder ein neues beginnen muß.

Glauben Sie mir, daß ich müde bin? Müde, nicht weil ich zuviel gearbeitet habe, sondern weil ich ohne eine Gesinnung arbeite, ohne einen Ehrgeiz, ohne ein Ziel. Heute noch bin ich der selbständige Verwalter der Macht, die sich in meinem Hause angesammelt hat, aber morgen schon bin ich ihr Gefangener. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, warum ich so reich geworden bin? Sie halten mich für einen großen Kaufmann? Nicht wahr? Sie irren sich, Herr Oberst! Ich verdanke alles der Widerstandslosigkeit und der Ohnmacht der Menschen und der Einrichtungen. Nichts in dieser Zeit wehrt sich gegen Ihren Druck. Versuchen Sie, einen Thron zu erlangen, und es wird sich ein Land finden, das Sie zum König ausruft. Versuchen Sie, eine Revolution zu machen, und Sie werden das Proletariat finden, das sich erschießen läßt. Bemühen Sie sich, einen Krieg hervorzurufen, und Sie werden die Völker sehen, die gegeneinander ausziehn. In einigen Wochen, in einigen Monaten, in einem Jahr vielleicht könnte es mir gelingen, die Industrie dieses Landes zu erobern. Ich bin dahintergekommen, daß es nur die Namen sind, die noch ihren alten, mächtigen Klang haben und den und jenen erschrecken. Sie hören von einem Herrn Generaldirektor, Sie gehn zu ihm ins Zimmer — und auf einmal bedauern Sie alle Ihre Vorbereitungen und kommen sich lächerlich vor. Sein Titel steht nur auf der Tafel an der Tür. Sind Sie einmal in seinem Büro, dann sehn Sie, daß die ganze Macht des Generaldirektors nur von vier Nägeln, einer gläsernen Tafel an der Tür gehalten wird — und die Tür und die Tafel und die Nägel kommen Ihnen imposant vor im Vergleich mit der Persönlichkeit, zu der sie gehören. Glauben Sie mir, der Generaldirektor gehört seiner Tafel, seiner Visitkarte, seiner Rolle, seiner Stellung, der Furcht, die er verbreitet, den Gehältern, die er bewilligt, den Kündigungen, die er ausspricht; nicht umgekehrt! Von dieser Gefahr bin ich heute schon bedroht. Die Abzeichen meiner Macht werden anfangen, imposanter zu werden als ich. Ich werde nicht mehr den Launen folgen können, die meine einzige Freude sind. Ich kann den Herrn Bernheim anstellen, wenn es mir Freude macht, und zusehn, wie er wächst, mit der Chemie verschwägert wird, wie er ein großes Haus und einen Namen bekommt. Ich freue mich, wenn sein Bruder, ein Völkischer, in einer jüdischen Zeitung Artikel schreibt. Aber morgen schon könnte die Zeitung mächtiger werden, als mir lieb ist, und zum Beispiel meine Anonymität enthüllen. In der Stunde, in der man meinen Namen so ausspricht, wie man die Namen der populären Mächtigen nennt, bin ich ohnmächtig. Denn der Name schwillt an und bezieht Kraft von mir und braucht meine Kräfte, um zu tönen — nichts mehr, als um zu tönen ...

Und dennoch — und deshalb spreche ich mit Ihnen, reizt mich die Chemie, das einzig Unheimliche in dieser Klarheit, in der ich lebe. Es ist Gefahr vorhanden, daß ich mich ihr ausliefere. Und zum erstenmal wäre ich einer Übermacht ausgeliefert. Alles andere war kleiner als ich: dieser lächerliche Mittelstand, der meine Devise ist, der meine Warenhäuser füllt, die Beamtenorganisationen, denen ich Brot und Anzüge liefere, diese Häuser, die Bank mit den kleinen, sicheren Krediten, meine Direktoren mit den 150 000-Mark-Gehältern. Aber die Chemie ist ein Element. Ich konnte genauso ohnmächtig werden wie ihre Aktionäre, ihre Chemiker, ihre Generaldirektoren. Seitdem ich mit der Imperial Chemical Industry in Verbindung stehe, erschrecken mich die wunderbaren Phänomene in der Welt der Chemie. Alles ist hier wunderbar. Ich habe sonst keinen Respekt vor Zahlen. Hier zum erstenmal erschrecken mich die 10 000 Arbeiter von Höchst am Main, die 11 000 der Badischen Anilin, die 95 Fabriken der I. G., die 108 000 Angestellten, die 143 000 der angegliederten Fabriken, die 600 Tonnen Phosgen, die jährlich erzeugt werden. Denken Sie, daß die Kunstseide, aus der die Strümpfe Ihrer Tochter gemacht sind, mit dem Giftgas verwandt ist, mit dem der Krieg geführt wurde. Nitroglyzerin ist beides! Welch ein Name! Nitroglyzerin!

Halten Sie mich für einen Schwärmer, Herr Oberst? Sie haben recht! Zum erstenmal könnte man mich dafür halten. Es hat sich etwas geändert, es ist etwas mit Nikolai Brandeis vorgegangen. Ich weiß nicht, ob wir noch viele Male unser Büro zusammen verlassen werden. Gute Nacht!”

Er hat mich nicht verstanden, dachte Brandeis. Ich habe ihm auch nicht alles gesagt. Ich könnte ganze Tage sprechen, und es wäre das Wichtigste nicht gesagt. Fremde Kräfte überwältigen mich. Seitdem — Er dachte nicht weiter. Er kam oft bis zu dieser Grenze. Dann begann ein Reich, weit, unübersichtlich, unbekannt, keinem Gedanken erreichbar und keiner Vorstellung. Es war wie die Grenze der Welt, der Brandeis einmal entgegengewandert war.

Er ging immer langsamer, je näher er seinem Hause kam.

Ja. Je näher er seinem Hause kam, desto langsamer ging er. Wie viele Male im Laufe des Tages vergaß er es! Unter den vielen Häusern, die er zusammengekauft hatte, war es eines. Manchmal ging er in ein Hotel schlafen. Er liebte die fremden Hotelzimmer und ihre Gegenstände, die aller Welt gehörten, und die Tapeten, die der Zufall über die Wände geklebt hatte. Er brauchte nur ein Dach über dem Haupt. In seinem Haus umgab ihn der Reichtum wie eine Krankheit. Ein Gärtner, zwei Hunde, eine Garage, Dienstboten, eine knarrende Gittertür und knirschender Sand! Und das Fundament tief eingelassen in eine fremde Erde, ein verwurzelter Beton. Ein Zelt hätte er vielleicht gerne bewohnt. Vieles gehörte ihm, aber nichts besaß er. Viele gehorchten ihm, aber keinem befahl er. Vieles ergab sich ihm, und nichts wurde sein Eigentum. Ihm war, als bestünden seine Häuser nur aus den papiernen Plänen der Architekten, die Waren, die er kaufte und verkaufte, nur aus den Lieferscheinen und Handelsregistern, die Menschen, die für ihn arbeiteten, nur aus den Listen der Arbeitnehmer. Einmal hatte er drei Stückchen Feld besessen, ein kleines, weiß und blau getünchtes Häuschen, ein paar Kühe und zwei Pferde, zehn Bücher und eine Flinte und einen Stock mit metallenem Knauf. Dies alles war verloren! Als hätte er seit jener Zeit nichts anderes gewonnen, lebte Nikolai Brandeis wie ein Enteigneter, zufrieden mit seiner Armut und von ihr beflügelt. Ihm schien, daß es sein Schicksal war, eine Welt, die aus Besitz und Beton bestand, als ein Schatten zu durchstreifen, mit den unheimlichen Fähigkeiten eines Geistes Schätze zu häufen, mit den Händen achtlos Banknoten zu zählen, wie man mit den Füßen in herbstlichen Blättern raschelt, und überhaupt alles, Gegenstände, Waren und Menschen, in Papier zu verwandeln. Gar nichts festhalten und selbst nicht gehalten werden! Andere waren da, um zu gewinnen und liebzugewinnen, zu erben und zu halten, zu schätzen und zu genießen, zu kaufen und zu besitzen. Oder vielleicht war auch der Besitz der andern nicht wirklich? Sie gaben sich nur keine Rechenschaft darüber? Sie glaubten zu halten, und es zerrann? Sie glaubten zu genießen, und es verschwand? Ihr Genuß wie ihr Gefühl zu besitzen waren Funktionen ihrer Phantasie? Es ist wahr, dachte Brandeis, was ich dem Oberst gesagt habe. Alles ist widerstandslos und zerfällt nur nach meinem Willen zu Formen wie Asche und Sand. Nur die Namen sind noch geblieben. Eine einzige reale Macht besteht, wächst, bringt Leben und Tod: die Chemie. Soll ich mich ihr preisgeben?

Zu Hause erwartete ihn Lydia. Länger als ein Jahr wartete sie auf ihn vergeblich. Zwar nahm er sie in sein Bett, umfing sie mit seinen Armen, seinem Geruch und seinem Blick, der in der Finsternis leuchtete, wenn sie die Augen aufschlug, in der ständigen, stets enttäuschten Hoffnung, seine geschlossenen Lider zu sehn und endlich sein Angesicht, in der Wollust verloren. Niemals war es anders als am Tage. Ja, ihr schien, daß es klarer wurde in der Dunkelheit; daß sie vielleicht einmal in der Finsternis das Geheimnis dieses Mannes erraten würde, so wie man das Wesen der Geister nur um Mitternacht erkennt. Sie lauerte vergeblich.

Seine Augen schienen schon die Ferne zu sehen, in der er bald verschwinden wollte. So mächtig sein Körper war, so stark sein Schritt, der auch den Teppichen noch einen Widerhall entlockte und den sie hörte, wenn er anfing, den Kies im Garten zu mahlen, so unwirklich ferne und unerkannt blieb ihr Nikolai Brandeis. Manchmal verhüllte er mit dieser riesigen Hand ihre Brust. Eine große, starke Wärme floß von den Fingern in ihren Körper. Er sprach nicht. „Schweig doch nicht so”, bat sie — in einer unbestimmten Hoffnung, daß sie ihn bewegen könnte, auf eine andere Art zu schweigen. Denn daß er einmal reden würde, reden wie jeder andere Mensch, konnte sie niemals erwarten. Er machte sie glücklich und unglücklich zu gleicher Zeit, als wären Glück und Unglück, Seligkeit und Verzweiflung untrennbare Zwillinge. Sie wußte nicht mehr, ob er grausam war oder zärtlich und ob ihre eigene Liebe nicht Furcht oder Neugier war. Minutenlang haßte sie seine Fremdheit, sehnte sie sich nach der einfachen, verständlichen, menschlichen Roheit Grischas zurück. Immer wieder gab sie sich einen Aufschub, nachdem sie beschlossen hatte, Brandeis zu verlassen und den Grünen Schwan wieder aufzusuchen. Wenn er sich in zwei Wochen nicht ändert, dachte sie, werde ich fliehen. Er änderte sich nicht, und sie blieb. Ihre bescheidene Phantasie, gebildet an den bescheidenen Kenntnissen der Schriftsteller von den Seelen merkwürdiger Menschen, gebot ihr manchmal eines der kleinen Mittelchen, die in Romanen verschrieben werden. Sie begann, die lächerlichen Möglichkeiten zu erörtern. Vielleicht konnte sie ihn eifersüchtig machen? Aus den armseligen Erfahrungen ihres vergangenen Liebeslebens versuchte sie, Rezepte zusammenzustellen, Situationen zu komponieren, die kleinen Tricks einer jahrhundertealten literarischen Tradition wachzurufen, die das Leben so wunderbar fälscht. Aber sie sah in sein Gesicht und erkannte auf einmal, wie lächerlich ihre Bemühungen waren. Alle Gesetze wurden ungültig in seiner Nähe. Er schrie nicht einmal. Niemals erhob er seine Stimme so, daß man sie etwa hätte hören können, wenn man durch eine Tür von ihm getrennt war. Manchmal fühlte man seine Anwesenheit nicht, obwohl man ihn sah. Sein schwerer, großer Körper lastete auf ihr, ihre Zähne bissen seinen mächtigen Hals, ihre Finger zeichneten die steinernen Konturen seiner Schulterblätter nach, in ihren Haaren verlor sich der Atem seines Mundes. So lag sie eingehüllt in seiner Wucht und vergaß für Augenblicke, daß er kein Mann war wie andere. Aber plötzlich zwang sie die Sehnsucht, die Augen aufzuschlagen und verstohlen nach oben zu schielen. Und ihr Blick stahl erschrocken das Weiß seiner offenen Augen. Wohin blickte Brandeis? Was suchte er an der nächtlichen Wand über ihren Haaren? Konnte sein Auge die Wände durchbohren? Sah er den Horizont seiner Heimat? In diesen Minuten entbrannte in ihr ein kleiner, aber tödlicher Haß. Sie hätte ihn stechen mögen, um zu sehen, ob er sterblich war.

Sie lebte gefangen im Haus. Er schickte ihr Schneider und Kaufleute, aber nicht einen einzigen Gast. Er wollte keine Menschen sehn. Die Menschen waren wie Häuser und Waren. Er handelte mit ihnen, während des Tages, in seinem Büro. Sie war jung, sie zählte ihre Jahre. Zweiundzwanzig. Sie warf ihm diese geringe Zahl vor, als wäre ihre Jugend seine Schuld. Einmal sah er sie weinen. Er verstand. Aber er saß, ungeschickt und mächtig, vor dem kleinen Jammer einer kleinen Frau. Er fürchtete sich vor seinem eigenen Mitleid. Er haßte die Zärtlichkeiten, die der Trost befahl. Er war nicht imstande, ein Elend zu messen an dem Menschen, der es im Augenblick empfand. Er konnte niemals verstehn, daß die geringen Ursachen, die einen Schmerz erzeugen, weder den Umfang noch die Tiefe des Schmerzes bestimmen. Er maß das Unglück Lydias an dem absoluten Unglück der Welt. Er sah gleichgültig zu, wie sie weinte. Zum erstenmal weinte sie vor einem gleichgültigen Mann. Es war die erste Demütigung, die sie zu erleiden sich einbildete. Ihr kleines Gehirn sann auf Rache. Sie begann, Launen zu zeigen. Sie versuchte sich in der Ausübung einer engen Despotie. Sie überraschte Brandeis mit unerwarteten Wünschen. Sie wollte Menschen sehn. Er ging eines Abends mit ihr ins Theater. Schweigsam, nicht ohne Bitterkeit. Er haßte schon das Foyer. Er hatte Angst vor dem ersten Akt, er erwartete das Spiel wie eine Katastrophe. Die Experimente der Regisseure aus den ersten Jahren nach dem Krieg waren milder geworden, der Radikalismus der Dramaturgie begann, Konzessionen an die Nerven des Publikums zu machen. Brandeis vertauschte die Angst gegen eine weit gefährlichere Langeweile. Ein paarmal hatte er sich mit Lydia in den Logen der Theater gezeigt, auf einem Ball, in einem Konzert. Dann hatte er aufgehört, sich um die traditionellen gesellschaftlichen Veranstaltungen zu kümmern, die eine neue Zeit fortsetzte, ohne eine Gesellschaft. Es war ihm nur notwendig erschienen, sich in Abständen von einigen Monaten zu überzeugen, daß er für Vorgänge auf Podien und Bühnen jedes Interesse verloren hatte. An diesem Abend war seine Gleichgültigkeit so groß, daß er das Publikum zu betrachten anfing. Er stellte fest, daß ihn mehr Leute kannten, als er angenommen hatte. Seine Anonymität war gefährdet. Die Menschen halten es nicht aus, dachte er, ohne Heilige und Teufel zu leben. Sie haben gefunden, daß ich unheimlich bin. Ich habe es satt,

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