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gewiß nicht zu den hartnäckigen Gläubigern Frankreichs gehören, es wird Konzessionen machen. Frankreich wird aufhören, noch weiterhin naiv an die phantastischen Summen zu glauben, die aus Deutschland herauszuschlagen sind. Und das wird schon die halbe Rettung sein.”

Es war ihm ein Vergnügen, die beiden aufzuklären. Sie lauschten. Sie schienen begriffen zu haben, daß sie hier mit einem großen Kenner sprachen, der die Börsengeschäfte mit der Überlegenheit eines Weltpolitikers verfolgte. „Wir wollen auch nach Paris, aber aus anderen Gründen, nicht geschäftlich.”

„Nun”, sagte Brandeis, „dann kann ich Ihnen nur raten, mit größeren Ausgaben zu rechnen, als Sie es wahrscheinlich tun.”

Er erhob sich. Sie baten ihn um seine Adresse. Einen Augenblick bereute er schon, daß er sich mit ihnen eingelassen hatte. Er gab ihnen die Adresse.

Er wollte langsam und auf Umwegen nach Hause kommen. Er lächelte über den Ausdruck „nach Hause”. Seit zwei Jahren wohnte er in der Pension. Auf einmal schien es ihm unmöglich, dort zu bleiben. Die Sonntage waren unerträglich und von den Sonntagen am unerträglichsten der Nachmittag. Aus allen versperrten Zimmern drangen Liebeslaute und Grammophone. Die Inhaberin, die Hofratswitwe, trug heute ein seidenes Kleid aus Schwarz und Grau. In Nikolais Zimmer stand auf dem Kleiderschrank noch der Kasten mit der Geige, das Instrument des Hofrats. „In diesen Zimmern hatten wir immer Quartett!” erzählte die Witwe. Brandeis erinnerte sich an das Weiß und Blau seiner gekalkten Stube. Er roch den Duft von Heu, von Mist, die Dumpfheit der Hühnersteige, die würzige Schärfe im Stall, den warmen, zischenden Urinstrahl der Pferde. Und er erinnerte sich an die Mischung aus Karbol und gekochtem Seefisch in der Pension. Er beschloß, erst am Abend nach Hause zu kommen.

Es wurde früher Abend, als er gedacht hatte. Nun war der Sonntag überstanden. Der Sonntagabend draußen war schlimmer als zu Hause. Er floh.

Zwei Herren warteten auf ihn im „Salon”. Er ging in den Salon. Es waren die zwei Russen, mit denen er im Restaurant gesprochen hatte. Es erwies sich, daß beide die gleiche Art von Schüchternheit hatten. Beide waren ratlos. Sie unternahmen etwas gemeinsam — nach jenem merkwürdigen Gesetz, das die gleichen Schwächen zueinanderbringt, das zwei häßliche Mädchen zusammen spazierenschickt, zwei Taube in eine Konversation verwickelt und zwei Schüchterne verbindet, die glauben, daß sie, zueinanderaddiert, Kühnheit erzeugen werden. Immerhin schien der Blonde, der jünger war als der Schwarze, zu einem gewissen Mut aus Gründen des Anstands gezwungen. Es war der Blonde, der begann:

„Wir freuen uns sehr, daß wir Sie durch einen Zufall kennengelernt haben. Denn wir brauchen Ihren Rat. Jener Jossif Danilowitsch, von dem wir heute sprachen, hat uns in die unangenehme Situation gebracht. Deshalb sind wir bei Ihnen, und weil wir annehmen, daß Sie sich für Kunst interessieren.”

„Ich? für Kunst?” sagte Brandeis, „nie im Leben!”

Seine Besucher wurden so betreten, daß er sagen mußte:

„Aber das hindert vielleicht nicht, daß ich Ihnen einen Rat gebe. Um was für Kunst handelt es sich denn? Um Bilder?”

„Nein, um Kleinkunst”, begann der Ältere, „wir haben ein Kabarett, von dem Sie vielleicht schon gehört haben. Vor fünf Jahren ist es gegründet worden. Wir haben hier gespielt, dort gespielt, wir haben gute und schlechte Tage gehabt. Aber es ging immer halbwegs, eben mit Hilfe von Jossif Danilowitsch. Solange er Geschäfte machen konnte. Seit der Stabilisierung haben wir nichts mehr von ihm gehört. Wir sind also hierhergekommen. Auf Briefe und Telegramme hat er nicht geantwortet. Inzwischen ist unser Theater in Belgrad. Dort läuft unser Vertrag ab. Nächste Woche müssen wir nach Paris. Aber unsere Einnahmen in Belgrad sind schwach. Bedenken Sie die große Konkurrenz! In Belgrad war der Blaue Vogel, der Goldene Hahn, die Balalaika, die Weiße Hütte. Wir sind die fünften. Und wir geben gute Qualität. Aber das Publikum ist verdorben. Und wir werden kein Geld für die Reise nach Paris haben.”

„Wie heißt Ihr Theater?”

„Der Grüne Schwan”, sagten beide zugleich mit dem Stolz, mit dem Offiziere ihr Regiment nennen.

Nikolai Brandeis erinnerte sich vage, Plakate mit diesem Namen gesehn zu haben. Höflich, wie er heute war, sagte er, daß er von diesem Theater schon viel Gutes gehört habe.

Ob er ihnen helfen könne? fragten beide.

Ehe er sich noch darüber klar wurde, was er sagen werde, entfuhr ihm der Satz:

„Ich habe zufällig in dieser Woche in Belgrad zu tun und werde Sie dort besuchen.”

Die Männer gingen.

XI

Nun war er in Belgrad.

Am Nachmittag saß er in der Probe, im Grünen Schwan.

Er erinnerte sich nicht, wann er zuletzt in einem Theater gewesen war. Es mochten zwei Jahre oder drei her sein. Damals war er ein paarmal mit der Vorfreude in Theater gegangen, die er vor langen Jahren in seiner Studentenzeit hie und da gefühlt zu haben sich noch erinnerte. Er kam und erfuhr, daß die Bühnen leer waren, auch während sich die Schauspieler auf ihnen bewegten. Offenbar deshalb, dachte er, und weil die Menschen vom Theater selbst die Leere der Bühne immerhin ahnen mochten, geschahen diese Anstrengungen der modernen Regie. Deshalb baute man Treppen zum Beispiel. Wenn er Treppen sah, glaubte er vor dem entblößten Innern eines zerstörten Hauses zu sitzen. Er erinnerte sich an ein Erdbeben im Kaukasus, das er einmal erlebt hatte. In einigen Straßen am Rande der kleinen, alten Stadt waren die Mauern und das Dach eingestürzt, und offen boten sich dem Blick die Eingeweide der Häuser, Bretter, Balken und eine Treppe, die kein Ziel mehr wies. Der Himmel wölbte sich so hoch, und die Treppe, obwohl sie einmal durch die Stockwerke geführt hatte, schien im Vergleich zu dem unermeßlichen Abstand, der ihre höchste Stufe noch von der niedrigsten Wolke trennte, so lächerlich klein, daß an ihr, der fast intakt gebliebenen, mehr noch die Macht des Unheils sichtbar wurde als an dem Schutt der vernichteten Dinge.

Ein noch stärkeres Grauen empfand Brandeis im Anblick der Bühnen, weil hier das Bild des Untergangs nicht die Folge einer Katastrophe war, sondern einer menschlichen Anstrengung, die man „Regie” nannte. Er war manchmal neugierig, einen „Regisseur” kennenzulernen. Wie muß es, fragte er sich, in diesen Männern aussehen, wie werden sie von wüsten Träumen geplagt? Denn sie bauen offenbar die hohlen Abgründe, in die sie in ihren ängstlichen Nächten zu stürzen vermeinen, in Bühnenräume um. In Brandeis’ Jugend hatte es noch Rampenlichter gegeben. Er kam just zu der Zeit wieder ins Theater, in der die Scheinwerfer die ausgehöhlte Nacht der Bühnen nicht etwa erhellten, sondern durchsiebten. Und immer noch war es nicht finster genug, um den Zuschauer vergessen zu lassen, daß diese Nacht gebildet wurde: von den Schatten des Gerümpels, der Kästen, der Hängeböden, deren konservierter, neu mumifizierter Tod eine mechanische Kälte unter die gespielten Vorgänge ausatmete. Und obwohl der taghelle Scheinwerfer die handelnden Personen in Löcher aus Licht stellte, war sein Glanz doch nicht mächtig genug, den Zuschauer die private Menschlichkeit des Schauspielers vergessen zu lassen. Vielmehr war es, als ob der Scheinwerfer selbst die Neugier darstellen wollte, die im Zuschauer vorhanden war, die einzige Neugier, die im Zuschauer dieser Zeit vorhanden war und die nicht dem Sinn der Handlung folgte, sondern der Sinnlosigkeit der Bewegungen. Es war, als folgte der Scheinwerfer so hartnäckig dem Schauspieler, um endlich zu erfahren, wozu dieser Mann hier drei Treppen nahm, um einen bestimmten Satz zu sagen, und wozu er, um eine Antwort entgegenzunehmen, dort drei Treppen wieder hinunterstieg. Es schien Brandeis, daß man in der Zeit seiner Jugend weniger vom Theater verlangt hatte. Deshalb hatte es mehr gegeben. Er erinnerte sich genau, daß er nicht ins Theater gegangen war, um ein Stück von Shakespeare, wie man sagt, „verlebendigt” zu sehn — denn niemals konnte Shakespeare lebendiger sein, als wenn man ihn las —, sondern den Abstand und den Unterschied kennenzulernen, die zwischen dem gespielten Shakespeare und dem in der Vorstellung des Zuschauers lebenden vorhanden waren. Damals konnte es geschehen, daß ein großer Schauspieler, eben weil er und weil die Bühne keinen Augenblick es verleugneten, daß sie Theater waren (mit einer Rampe, mit Kulissen, mit Bäumen und Felsen und Mauern aus Pappe), ein gedichtetes Schicksal in seinem Körper aufgenommen hatte und das eigene Blut hingab für das Blut Shakespeares. Aber ein Regisseur — so dachte Brandeis — dirigierte heute die Selbstopferung des Schauspielers, die, um Gnade zu erlangen, sich in vollkommener Einsamkeit abzuspielen hätte. Die Regie schafft Räume. Nun gibt es keine Menschen, sie auszufüllen. Deshalb ließ man den Raum wieder im Dunkel, in der Hoffnung, daß der schmale Lichtkegel den Menschen zur Geltung bringen würde. Welch ein Irrtum! Der Mensch geriet in ein Loch und, gefesselt in die Hohlheit, die nunmehr sein Leib war, tappt er durch die Nächte.

Brandeis hätte niemandem etwas von all dem gesagt. Er hielt sich auch nicht für kompetent. Er verstand das nicht. Es war „nicht seine Sache”. Er dachte mit Entsetzen daran, daß man in den modernen Theatern schrie wie auf der Börse. Er dachte daran, daß es ein unanständiges Geschäft war, für eine Fiktion zu bezahlen, die nicht zugab, daß sie eine war. Für ein Stück, das vorgab, ein gesteigertes Leben zu enthalten, und das, verglichen mit seinen eigenen, mit Brandeis’ Erlebnissen aus seiner früheren Existenz, aber auch nur verglichen mit einer Stofflieferung nach dem Balkan, keineswegs gesteigertes Leben war, sondern das Spiegelbild eines Traums vom Leben, geträumt von einem blassen Dramatiker. Nein! Er ging lieber ins Kino. Er liebte die ahnungslose Dunkelheit des Zuschauerraums und den belichteten Schatten der Agierenden. Er liebte die primitive Spannung der Fiktion, die sich ehrlich zu sich selbst bekannte. Er liebte die Abgeschiedenheit, in der jeder einzelne saß, weil die anderen sich in Wirklichkeit hart vor der Leinwand befanden. Nur ihre Körper blieben auf den Plätzen, wie Kleider in einer Garderobe. Zweimal in der Woche ging Brandeis ins Kino. Er ruhte aus. Er redete nicht. Er hörte nichts. Mit Ungeduld ertrug er die kurzen Lichtpausen. Er haßte sie. Er dachte daran, gelegentlich Kinos einzurichten, in denen es niemals hell werden sollte.

Er kam zu den Proben des Grünen Schwans, allein, im dunklen Zuschauerraum saß er. Nein, er sah wieder, daß er sich für Kunst nicht interessierte und gar nicht für „Kleinkunst”. Eigentlich war ihm das russische Kabarett, das er noch vom alten Rußland her kannte, immer verhaßt gewesen. Ihm widersprach die Kunst, die aus Angst vor den Dimensionen zierlich wurde. Er haßte die Delikatesse. Er haßte diese Stückchen Milieuschilderung, in denen die Menschen sich in Liliputaner verwandelten, die Bäuerinnen in Balletteusen, die Kosaken in Zinnsoldaten. Er haßte den leeren Charme des Conferenciers, der ihm zu Ehren — denn man behandelte ihn wie einen Geldgeber — einen besonderen Witz entwickelte. Weshalb ging er nicht weg? Nun saß er schon das drittemal in der Probe. Ja, er ging sogar am Abend am Theater vorbei, um sich zu erkundigen, was die Kasse ergeben hatte. Weshalb tat er es?

Die Truppe befand sich in Not. Sie hatten schon lange nicht mehr das Hotel bezahlt. Das Essen kreditierte man ihnen nicht mehr. Es gab Abende, an denen der Kassenertrag gerade reichte, um jedem einen Kaffee oder einen Tee mit einem Gebäck in der Konditorei zu sichern. Sie saßen nach jeder Vorstellung zusammen an engen Tischen und erinnerten an Bündel ängstlicher Hühner, die das Schlachtmesser erwarteten. Und immer noch lärmten sie durcheinander, weil sie die stummen Pausen fürchteten, als wäre unausweichlich die Stille nichts anderes als ein Vorbote des Todes. Seit der Gründung des Grünen Schwans war es ihnen niemals so schlechtgegangen. Ihre hastig abgeschminkten Gesichter schimmerten gelb im Glanz der abendlichen Lichter. Dennoch wollten sie einander nicht verlassen. Jede Nacht warteten sie, bis man das Lokal schloß. Und auch dann gingen sie von einem der drei Hotels, in denen sie einquartiert waren, zum andern. Alle begleiteten einander. Und die kleine Gruppe, die schließlich in ihr Hotel trat, kam sich elend und von den andern verraten vor. Noch lange standen sie flüsternd in den Korridoren. Dann fiel hinter jedem die Zimmertür zu wie ein Sargdeckel.

„Warum”, fragte Brandeis sie eines Abends, „geht nicht jeder von euch hin und sucht sein Brot?” Sie sahen ihn an, erschrocken und geringschätzig, als hielten sie ihn für verrückt und auch für minderwertig. „Wie”, antwortete ihm der Kapellmeister, „wir sollen den Grünen Schwan verlassen? Niemals!” Und Brandeis begriff, daß diese Menschen für ein Gebot der Kunst hielten, was ein Gebot der Heimat war. (Sie waren nicht alle Schauspieler gewesen. Die Frauen Töchter aus guten Häusern, die Männer Offiziere und Beamte, zwei Großgrundbesitzer unter den Musikanten, der Kapellmeister ein Gymnasialprofessor.)

Brandeis fand zum erstenmal Gelegenheit, Geld für eine Sache auszugeben, die ihm nicht gefiel. Seitdem er angefangen hatte, Geschäfte zu machen, war er gewohnt, jede Geldsumme als ein Instrument zu sehen. Einem Bettler ein Almosen zu geben wäre ihm so lächerlich erschienen, wie wenn man ihm etwa zugetraut hätte, ein Feuer anzuzünden, zu keinem andern Zweck, als um es sofort wieder mit Wasser zu löschen, oder seine Taschenuhr auf das Pflaster zu werfen, nur damit sie aufhöre zu gehn. Er hatte Theodor Bernheim zweitausend

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