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die Vehikel und die sonntäglich geschlossenen Kioske, die entweihten und dem Gottesdienst entzogenen Kapellen ähnlich waren. Sein mongolischer Gesichtsschnitt und seine bräunliche Hautfarbe waren Grund genug für die Mitteleuropäer, die ihm begegneten, ihn der Abteilung „Ferner Osten” zuzuweisen, unter die Buddhas, die Geishas und die Opiumtrinker. Da die Inflation zu Ende war, das Bewußtsein vom Wert des eigenen Geldes die Moral, den Patriotismus und das Selbstbewußtsein bereits gehoben hatte, blieb für den Fremden weniger Bewunderung übrig als Mißtrauen.

Man lustwandelte langsam, in Frühlingskleidern, unter der Sonne.

Auf einmal erhob sich ein unbestimmter Lärm. Er begann wie ein Wind, der ein Gewitter ankündigt, an einer fernen Straßenecke. Einige Menschen begannen zu laufen. Andere blieben stehn, und man sah, daß sie nachdachten, auf welche Weise man sich in Sicherheit bringen kann, ohne die Würde zu verlieren. Indessen wurden die Geräusche bestimmter. Man unterschied hundertstimmigen Gesang aus Männerkehlen. Man unterschied vielhundertfaches Klopfen benagelter Militärstiefel auf Asphalt. Schließlich über dem Gesang und über dem dumpfen, metallenen Geräusch der marschierenden Füße dünne und gleichsam flehende Flötentöne, eine Musik unkörperlicher, abstrakter Pfeifen, denen einer der populären Militärmärsche entfuhr. Und schon sah man auch die Ursachen der Geräusche: große, wehende Fahnen, ein paar Radfahrer, die sich an der Spitze des Zuges langsam vorausschlängelten, und hinter ihnen die ersten Reihen der Marschierenden, Männer mit Schnurrbärten, die an Kindersegen und Mittelstand denken ließen, mit blicklosen und offenen Augen, in denen Zorn, Stolz und Ehrlichkeit die Fähigkeit zu schauen ertötet hatten, mit schlenkernden Händen, die an leere Ärmel erinnerten, und mit Stöcken, die im Gürtel an der Hüfte hingen, um zu zeigen, daß sie nicht gesonnen waren, gewöhnliche Spazierstöcke zu sein. Sie waren in der Entwicklung vom Knüppel zum Säbel begriffen.

Der größte Teil der Spaziergänger war in den Seitenstraßen verschwunden. Von allen Häusern hörte man das metallene Geräusch zufallender Fenster. Auf leeren, staubigen Stein schien jetzt die Sonne. Durch die Neben– und Parallelstraßen eilten die Spaziergänger ihren Heimen zu, die in der Richtung des Grunewalds lagen. Dem unregelmäßigen Trott ihrer hastigen Füße antwortete der unerbittlich von den Nägeln geregelte Marsch der Stiefel in der Hauptstraße. Der Gesang erhob sich über die Wipfel der Bäume. Die geisterhaften Flötentöne drangen durch das Gedröhn der Mittagsglocken, die eben in Schwung gerieten, als wollten sie die Verwirrung noch vergrößern, eine Strafe Gottes ankündigen, das Ende der Welt und den Anmarsch ihrer Vernichter. Es war ein echter Sonntag, einer jener Sonntage, die manchmal über die Städte Deutschlands verhängt werden: feierlich, furchtbar und voller Gesinnung.

Unter den wenigen Männern, die stehngeblieben waren, um den Zug vorbeimarschieren zu sehn, befand sich Brandeis. Er stand neben einem der seltenen Pissoirs, deren es, wie man weiß, in Berlin weniger gibt als Bibliotheken. Immer noch lächelte er. Zeitweilig konnte man glauben, er stünde nicht da, um seine Schaulust zu befriedigen, sondern die der andern. Als wäre es seine Pflicht, den Marschierenden wie den Laufenden zu zeigen, wie man steht; den Blicklosen, wie man schaut; den Aufgeregten, wie man ruht; den Politikern, wie man denkt; den Idealisten, wie man prüft. Ja, so merkwürdig und der europäischen Gewöhnlichkeit entfernt er auch aussah und obwohl er einen Mantel trug und die Sonne nicht zu fühlen schien, so bestand doch zwischen ihm, den hoffnungsvollen Wipfeln der Bäume und der linden, windigen Luft des Frühlings ein Zusammenhang. Zwischen den Marschierenden und diesem Frühlingstag aber keiner. Und wenn man ihnen auch ansah, daß sie wahrscheinlich geradewegs in einen Wald marschierten, glaubte man eher, sie marschierten gegen ihn.

Obwohl seine Mutter aus einem evangelischen Pfarrhause zu seinem jüdischen Vater gekommen war und in das Haus ihres Mannes eine deutsche Bibel, eine Mandoline und ein Abonnement auf eine Familienzeitschrift gebracht hatte, fühlte sich Nikolai Brandeis in Deutschland nicht heimisch. Ja, ihm war, als ob die kleine deutsche Kolonie in der Ukraine mehr Deutschland gewesen wäre als dieses Land, aus dem die ewigen Auswanderer das Heimatliche wegzutragen, die ewigen Einwanderer das Fremde mitzubringen scheinen. Alle Jahrgänge der Familienzeitschrift, die seine Mutter abonniert hatte, gaben ein falsches Bild von Deutschland. Diese Zeitschrift stellte das Land so dar, wie es zur Zeit der Auswanderung der Kolonisten ausgesehen haben mochte. Daheim, erinnerte sich Brandeis, war er trotz seinem Gesicht, das er vom Vater ererbt hatte, unter den schwäbischen Gesichtern seiner Jugendgenossen heimisch gewesen. Hier, wo die Gesichter der Menschen keine bestimmte Rasse verrieten — Brandeis nannte sie Asphalt-Slawen —, war er ein Fremder. Nur die zaghaften Vorfrühlingstage erinnerten an die schüchterne und sparsame Güte seiner Heimat.

Er dachte an seine Jugend. An seinen Vater, den er verhältnismäßig früh verloren hatte und der wahrscheinlich ein ebenso verschämter Liebhaber der Erde gewesen war. Sein Vater hatte zum griechischorthodoxen Glauben übertreten wollen, um den Beschränkungen zu entgehen, denen die Juden im alten Rußland unterworfen waren. Weil die getauften Juden auch ihre frühere Konfession angeben mußten, wollte er, wie viele, zuerst evangelisch werden und dann erst orthodox. Auch ein Mann, der so praktische Geschäfte mit Gott und dem Staat zu unternehmen gesonnen ist, kann einer Schwäche erliegen, deren man Leute seines Schlages nicht für fähig hält. Der alte Brandeis, der zu dem evangelischen Pfarrer gekommen war, um ihn zu täuschen, wurde von der göttlichen Strafe erreicht, noch ehe er seine Absicht hatte ausführen können: Er verliebte sich in die Tochter des Pfarrers. Vielleicht wollte er sie nur verführen und nach alter Sitte nicht heiraten. Aber die Tugend der Pfarrerstöchter hatte er nicht richtig einzuschätzen verstanden.

Er heiratete also. Er blieb in der Kolonie. Er wurde nicht mehr orthodox. Er gab seine großen Pläne auf. Er wurde ein kleiner Kaufmann mit einem Stückchen Land, mit einer sanften Frau, mit einem geistlichen Schwiegervater. Nach einem Jahr kam Nikolai, der eigentlich Friedrich Theodor Emmanuel Nikolai hieß. Den russischen Vornamen hatte sein Vater noch hinzugefügt, in der stillen Hoffnung, daß der Junge es einmal in Rußland zu etwas bringen würde, wozu ein Nikolai nützlich werden konnte. Er hatte nicht aufgehört, der alte Brandeis, praktisch zu denken, wie es die Eigenschaft seiner Stammesgenossen war. Er starb rapide, an einem Typhus, der die Gegend verheerte. Aber er hinterließ Geld genug für das Studium des Sohnes.

Nikolais Studium unterbrach der Russisch-japanische Krieg, aus dem er als Offizier im 1o6. Infanterieregiment zurückkam. Er ging mit dem Gedanken um, sich aktivieren zu lassen. Er war nie unter den schwärmerischen Studenten an der Universität gesehen worden. Er hatte nie ihre Ideale begriffen. Er kümmerte sich weder um die Reaktionäre noch um die Liberalen, noch um die Revolutionäre. Man hätte sagen können, er sei kein Russe. Seit seiner frühesten Jugend war er selbst schweigsam und gegen jede Redseligkeit mißtrauisch gewesen. Von allen Institutionen in Rußland schien ihm die Armee die sicherste. Auch hier politisierte man. Aber die Disziplin hatte doch seiner Meinung nach die Fähigkeit, sogenannte Gesinnungen im entscheidenden Augenblick zu verdrängen. Man hatte hier mit banalen Tatsachen zu rechnen, aber mit Tatsachen. Gewehrübungen, Exerzierwiesen, Rekruten und Kasernen, Zarenbilder, Orden, Distinktionen waren einfach und klar wie der Tag. In ein Amt gehen hieß: Protektionen suchen, Intrigen mitmachen und obendrein noch politisieren. Um Kaufmann zu werden — dazu fehlte ihm ein gewisses Grundkapital. Er hatte Mathematik studiert. Er glaubte, Begabung für die technischen Truppen mitbringen zu können. Aber seine Mutter, die inzwischen alt geworden war, ein wenig Geld von ihrem Vater geerbt hatte und ein paar schmale Äcker bebaute, beschwor ihn, nach Deutschland zu fahren und zu lernen.

Sie fürchtete neue Kriege. In ihrer Einfalt dachte sie, Rußland würde sich die Niederlage nur ein Jahr gefallen lassen und einen neuen Rachefeldzug gegen Japan beginnen. Nikolai folgte ihr. Er studierte an einigen deutschen Universitäten, vertauschte die Mathematik gegen Nationalökonomie, langweilte sich, blieb einsam, kehrte zu seiner Mutter zurück, half ihr im Hause und wurde schließlich aus purer Gleichgültigkeit Lehrer in der Schule seines Dorfes Helenental.

Er lebte still und gesund, trank und aß regelmäßig, kümmerte sich nicht um die Frauen, fuhr in die Krim für zwei Wochen, kam schnell zurück, der Felder wegen, las viel, liebte die Kinder, sammelte Hunde um sich und spielte hie und da mit den besseren Beamten Karten. Im Jahre 1913 starb seine Mutter. Ein Jahr später ging er zum zweitenmal in den Krieg. Im Jahre 1917 wurde er Hauptmann. Als die erste Revolution ausbrach, stellte er sich auf die Seite der Revolutionäre. Er kämpfte gegen die Bolschewiken, wurde von ihnen gefangen und ging zu ihnen über. Er hatte sich vorgenommen, um jeden Preis Soldat zu bleiben. Mitten in der Verwirrung, die ihn nicht bekümmern sollte, war dieser Entschluß etwas Sicheres, und er führte auch zu etwas verhältnismäßig Sicherem.

Aber auch diese Berechnung war falsch. Eines Tages ereignete sich eine jener Episoden, die für den russischen Bürgerkrieg ebenso kennzeichnend wie belanglos waren, aber dem Leben, den Überzeugungen, den Entschlüssen der einzelnen eine ganz neue Richtung zu weisen vermochten. Auch Nikolai Brandeis machte die Erfahrung, daß der Mensch in einer einzigen Stunde — die ihm gar nicht wichtig erscheint — imstande ist, was man seinen „Charakter” nennt, so vollkommen zu verändern, daß er vor den Spiegel treten müßte, um sich zu überzeugen, daß seine Physiognomie noch die alte geblieben sei. Seit jener Veränderung, die er selbst erlebt hatte, pflegte Brandeis zu sagen, daß die Menschen sich nicht entwickeln, sondern ihr Wesen wechseln.

Er dachte an einen der Wahnsinnigen seines heimatlichen Dorfes, der nicht müde geworden war, allen Leuten die stereotype Frage zu stellen: „Wieviel bist du? Bist du einer?” Nein, man war nicht einer. Man war zehn, zwanzig, hundert. Je mehr Gelegenheiten das Leben gab, desto mehr Wesen entlockte es uns.

Mancher starb, weil er nichts erlebt hatte, und war sein ganzes Leben nur einer gewesen.

Um nun zu jenem Ereignis zurückzukehren: Brandeis, der in der Ukraine kämpfte, zog eines Tages in seine engere Heimat ein und übernahm das Ortskommando über einige nebeneinander gelegene deutsche Kolonien, die er gut kannte. Einer der törichten, willkürlichen und von Pathologischen erfundenen Verfügungen gemäß sollte Nikolai Brandeis für eine unmittelbare Aufteilung des beweglichen sowie des unbeweglichen Vermögens unter den Einwohnern der Kolonien sorgen. Die deutschen Kolonien waren fast die einzigen Dörfer in Rußland, in denen die primitive und den Bauern so leicht verständliche Idee von der Besitzverteilung nicht begriffen zu werden schien. Nikolai Brandeis selbst hatte keine persönliche Meinung vom Nutzen der Güterverteilung. Aber seinem Entschluß getreu, nichts mehr zu sein als ein Soldat und die Bequemlichkeit des Gehorchens etwa wie Ferien zu genießen, begann er, zum Ärger der Einwohner, die ihm überdies nicht verzeihen wollten, daß er ihnen so gut bekannt war, in der simplen Weise, in der es verlangt worden war, die überschüssigen Kühe der großen Bauern in die Ställe der kleineren treiben zu lassen. Er rief die Einwohner zusammen und erklärte ihnen, dies sei der Sinn der neuen Zeit und der Wille der neuen Regierung. Die Leute hörten ihn schweigsam an. Er fuhr in das nächste Dorf, um auch hier das neue Gebot zu verwirklichen. Dann in das dritte. Als er aber wieder in das erste zurückkehrte, erwies es sich, daß die armen Bauern freiwillig den reichen das Vieh zurückgebracht hatten. Wieder standen die Ställe der Armen leer. Sie wollten nicht behalten, was sie „fremdes Gut” nannten.

Nikolai Brandeis berichtete den Tatbestand, bekam eine Rüge und die Anweisung, die Leute mit Gewalt zu bekehren. Er drohte ihnen mit Gefängnis und Deportation. Aber es half nichts. Einer der Kommissare kam und verhaftete den Pfarrer, einen Mann, den Brandeis aus früheren Jahren gut kannte. Brandeis bat um die Befreiung des Alten. Man verurteilte den Pfarrer zum Tode. Brandeis führte die Hinrichtung aus. Er befahl „Feuer!” in Anwesenheit des ganzen Dorfes.

Kaum war der Knall der Schüsse verhallt, als zum erstenmal in Brandeis’ Herz die Unruhe einzog. Bis jetzt hatte er noch immer in der Taubheit des Berufssoldaten gehandelt. Nun aber, da die Leiche des Pfarrers, der kniend gestorben war, vornübergesunken vor der blau gekalkten Mauer lag, vor der Mauer, auf der Nikolai als Knabe so oft rittlings gesessen hatte, und die dunkelrote Blutlache zaghaft immer größer wurde und auf dem abschüssigen Boden zwischen die Fugen der unregelmäßigen Steine ein paar Bächlein vorzuschicken begann: In dieser Minute verwandelte sich Brandeis. Er nahm die Mütze ab in Anblick der ganzen Bevölkerung und machte eine Verbeugung vor der Leiche. Dann befahl er, sie auf dem Friedhof zu begraben. Dann ging er zum Kommissar und sagte ihm, daß er die Rote Armee verlassen müsse. Der lachte ihn aus. Riet ihm, nach zwei Tagen zu sehen, ob die armen Bauern sich nicht bekehrt haben würden. Und nur in der Hoffnung, daß sie es nicht tun werden, blieb Nikolai Brandeis.

Er blieb — und sah, daß der Kommissar recht gehabt hatte. Es war keine Rede mehr vom „fremden Gut”. Auf einmal schienen alle Begriffe umgestürzt. Die reichen Bauern wurden untertänig und die armen herausfordernd. Pfarrer benachbarter Dörfer predigten ausdrücklich die Notwendigkeit der Güterverteilung. Aber diese Veränderungen beruhigten Brandeis nicht etwa, sondern verwirrten ihn vollends. Eines Abends überfiel ihn der Wahnsinn. Ihn beherrschte die Vorstellung, daß der Rand der Welt nicht ferne sein könne, jene Stelle, von der aus man in den Abgrund der ewigen Nächte

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