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Ehebettes. Was ich meine, das ist das schmerzhafte, angsterfüllte Bewusstsein einer unnennbaren, grausamen Macht, die zwei Seelen aufeinander wirft und sie in Schmerz und Qual zusammenzukoppeln sucht, ich meine die intensive Liebesqual, in der die Seele bricht, weil sie sich mit der anderen nicht zu verschmelzen vermag, ich meine das enorme Vertiefungsgefühl in der Liebe, wo man in der Seele tausend Generationen tätig fühlt, tausend Jahrhunderte von Qual und abermals Qual dieser Generationen, die an Zeugungswut und Zukunftsbrunst zu Grunde gingen, ich denke nur an die seelische Seite in dem Liebesleben: das Unbekannte, Rätselhafte, das große Problem, das Schopenhauer zuerst ernsthaft in seiner „Metaphysik der Liebe” aufgeworfen hatte, freilich mit wenig Erfolg, weil die logischen Mittel für das Unlogische der Seele nicht ausreichen. Unsere Zeit, die überhaupt keine Probleme hat, die nicht schon durch die „tiefsten Geister” gelöst waren, kennt die Liebe nur als eine Ökonomische und sanitäre Frage, und es ist ganz natürlich, dass für die bürgerliche Kunst die Liebe nur als der mehr oder weniger selige Weg in das finanziell und gesundheitlich geregelte Ehebett besteht. So kam es, dass dies tiefste Seelen– und Lebensproblem nur äußerst wenige Denker gefunden hat. Und sonderbar genug, dass gerade in einer solchen Zeit ein Künstler — allerdings auf dem Gebiet der „bildenden” Kunst — erstehen sollte, der in die schauerlichen Geheimnisse und Abgründe des Geschlechtslebens weit tiefer eingedrungen ist, als irgend ein Philosoph vor ihm: Félicien Rops.

Man sehe sich seine Werke an, und man wird verstehen, was ich unter der Offenbarung der Seele im Geschlechtsleben meine. Hier nur ein paar Worte, wie Félicien Rops den ewigen Erreger der Liebesgärung, das Weib, auffasst, um gleichzeitig auf die enorme Distanz zwischen dieser und der bürgerlichen Kunst hinzuweisen.

Für die bürgerlichen Künstler ist das Weib ein Spielzeug oder ein unglaublich edles Wesen, eine Kokotte, oder eine steif verschnürte, unnahbare Größe, sie ist ein Miezchen oder eine präraffaelitische Kunigunde... he, he, wie singen doch unsere braven Lyriker von den verschiedenen Fräuleins?

Für Rops ist das Weib eine furchtbare, kosmische Macht. Sein Weib ist das Weib, das in dem Manne das Geschlecht wachgerufen hat, ihn an sich mit tausend wohlfeilen Listen kettete, ihn zur Monogamie erzog, die Männerinstinkte durcheinanderwarf, sie schwächte, verschob und verfeinerte, die Elemente seiner Begierden in neue Formen ordnete und ihm das Gift seiner teuflischen Lüste in das Blut impfte.

Und in der schmerzhaften Ekstase des Schaffens hat er die längst verlorenen Verbindungen wiedergewonnen, die uns an unsere mittelalterlichen Vorfahren knüpfen. Er ist nicht mehr der Mann, der sein Leben einsetzt für den lächerlichen Preis des Fünfsekundengenusses, er leidet nicht mehr unter dem Weibe, er bäumt sich auf in dem wilden Hass gegen die furchtbare, zerstörende Kraft und wird zu einem fanatischen Ankläger, der in der Raserei gegen seine eigene Natur das Weib unter Umständen dem Feuertode preisgeben würde, um die Welt von dem „größten aller Übel”, dem Weibe, zu befreien.

Und hier steht er vollkommen im Einklänge mit den mittelalterlichen Diabologen. Man lese nur die Doktoren: Bodinus, Sinistrari, Del Rio, Sprenger... Zwei Welten schmelzen ineinander und begegnen sich in einer und derselben visionären Erkenntnis der Wurzel alles Daseins, der Wurzel jeglichen Schmerzes und aller Qual.

Soll ich nun jetzt vielleicht motivieren, warum ich in »De profundis« ein „succubat” — der Deutsche scheint keinen passenden Ausdruck dafür zu haben — geschildert habe, dies grässliche succubat» das der ganzen großen Kultur des Mittelalters in der grandiosen Schöpfung des Teufels und der Hexe den Stempel aufgedrückt hatte?

Ich hoffe: nein!

Ja, noch etwas: Die bürgerliche Kritik schreit so entsetzlich nach Kraft und Gesundheit. Sonderbar? Es gab wohl keine Zeit, die mehr stupid, mehr protestantisch und mehr borniert wäre, als die unsrige. Ist das nicht Gesundheit genug? Ist das nicht Gesundheit genug, dass unsere Zeit so krankhaft seelenlos ist? Und würden die Kraftmeier, die famosen Abse der Literatur nicht einmal zur Abwechselung ein solches Werk mit Interesse lesen können, ohne es gleich in den Schmutz zu ziehen und den Verfasser einen dekadenten Wüstling zu nennen?

Stanisław Przybyszewski

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De profundis
Meinem Freunde 
Meiner Schwester 
Meinem Weibe 
Dagny 
 

Er ging müde und wie zerschlagen nach Hanse. Es fröstelte ihn trotz der tropischen Hitze. Im Halse fühlte er feine, scharfe Stiche wie von glühenden Nadeln.

Jetzt würde er wohl ernstlich krank werden. Er fühlte es kommen. Und gerade hier: in einer fremden Stadt ...

Er ging schnell die Straße entlang. Nach Hause. Bald trat ihm kalter Schweiß auf die Stirne, eine unangenehme feuchte Hitze kroch schwül über seinen Körper, und die Stiche im Halse wurden noch häufiger und schmerzhafter.

Die Angst wühlte sich tiefer und banger in sein Blut: er begann zu laufen.

Oben auf seinem Zimmer warf er sich aufs Bett.

Sein Herz schlug gewaltsam. Er fühlte, er hörte die feinsten Adern klopfen und zittern und sich in wachsender Macht mit Blut füllen, als ob sie platzen wollten.

Er setzte sich behutsam im Bett zurecht, nun reckte er sich langsam hoch: es wurde noch schlimmer. Er schob die Kissen gegen die Wand, legte sich halb hin, presste die Stirn gegen die kalte Wand und horchte auf das Fieber.

Allmählich glättete es sich in ihm. Das Blut floss langsam zum Herzen zurück. Er hustete frei auf, ohne Schmerzen.

Er wartete. Ob es nicht wiederkäme?

Nein: Das Herz schlug fast ruhig, nur seine Hände fieberten und er war wie gebadet in Schweiß.

Er knöpfte langsam die Kleider auf und trocknete sich die Stirn. Nur seine Hände: sie glühten so heiß und so feucht.

Nun ja: es war nicht das erste Mal. Es wird sicher vorübergehen.

Seltsam, dass er jedes Mal, wenn er von seiner Frau wegfuhr, von diesem Fieber befallen wurde. Jetzt sollte er sie hier haben: nur ihre Hände festhalten, und alles würde gut werden. Er wurde sicher gleich einschlafen... Wieder begann es in ihm zu schwellen. Sein Körper fing von Neuem an zu zittern, es würgte ihn im Schlund und seine Fäuste ballten sich krampfhaft.

Eine kranke Sehnsucht nach ihren Händen, eine quälende Gier, ihren Leib an sich zu pressen, sein Gesicht auf ihre Brust zu legen: deutlich fühlte er ihre Hand mit leisen Schauern über seinen Körper gleiten und rinnen. Das Gefühl wurde so visionär deutlich, als wäre sein Tastsinn ein Organ für sich geworden mit einem selbstständigen Gedächtnis: Er unterschied die feinste Gefühlsnuance, die er doch sonst nur bei der wirklichen Berührung ihres Körpers empfand.

Und die Sehnsucht fing an zu sprießen und schwoll und schoss wild hinauf. Die Qual krümmte seine Finger und zerrte an seinen Nerven, er kauerte zusammengekrampft, als wollt’ er sich in seinen eignen Leib einwickeln.

Er fuhr auf und kam zur Besinnung. Sein Herz lief, eine rasende Angst bäumte sich steil in ihm hoch. Mit wachsendem Entsetzen hörte er auf das Klopfen und Brausen in seinem Körper. Er fühlte das Blut mit wütendem Drang die Gewebe anfüllen und auseinanderreißen.

Er sprang auf, blieb stehen, dumpf, starr. Seine Glieder flogen und seine Zähne klapperten in Fieberfrost.

Was sollte er nur anfangen?

Er durfte sich um Gotteswillen nicht eine Sekunde dieser Qual hingeben, sonst wurde er sicher die Nacht nicht überleben.

Mit zitternder Ungeduld suchte er nach den Streichhölzern. Die Vorstellung, dass er sie vielleicht nicht finden würde, brachte ihn der Ohnmacht nahe, er tappte umher und atmete tief auf: sie waren da.

Er zündete das Licht an und blieb lange reglos stehen.

Nun musste er an etwas denken, an irgend etwas Gutes und Ruhiges, etwas, das sich wie ein Ruhekissen unter seinen Kopf schöbe.

Plötzlich entdeckte er einen Brief — auf dem Tisch mitten unter seiner Wäsche.

Dass er den ganzen Tag nicht daran gedacht hatte, nachzusehen, ob ein Brief da wäre.

Es ging etwas Besonderes in ihm vor. Er ging ganz wie im Traum. Und jetzt hatte er keinen Mut, den Brief zu öffnen. Wenn irgend etwas Unangenehmes drin stand! Das wurde sicher sein Gehirn zerstören.

Da wurde er wütend. Lächerlich, dass ihn das bisschen Fieber so herunterbringen konnte. He, he: ein bisschen Fieber nicht überwinden zu können! He, he: das bisschen Fieber wurde er schon überwinden. Er hatte ja doch schon viel Schlimmeres durchgemacht...

Über seinem Gehirn lag etwas wie eine feine Eisplatte. Das kühlte förmlich. Er wurde plötzlich so ungewöhnlich klar. Aber es war, als würde die Gehirnmasse verdrängt, tiefer gepresst, die kühle Eisplatte wuchs zu einem Eisklumpen an, die Kälte begann weh zu tun: jetzt fuhr es ihm in langen, glühenden Striemen über den Rücken: er lachte heiser auf.

Na natürlich! Ein ganz gewöhnliches Fieber...

Er zerknitterte krampfhaft den Brief.

Ein ganz gewöhnlicher Fieberanfall... Er begann zu pfeifen.

Nun fühlte er lange Nadelstiche in der Brust.

Aha: alte, gute Bekannte... Wieder lachte er laut: das würde ihn sicher nicht aus dem Konzept bringen, dazu müsste die Tortur viel, viel schmerzhafter sein.

Er ging langsam herum, lachte und pfiff.

Ja, richtig: eine Zigarette!

Aber der Rauch machte ihn schwindlig.

Nicht einmal rauchen durfte er: das war doch wirklich schändlich. Das hatte aber doch nichts zu bedeuten, er war nur sehr schwach. Natürlich: wenn man nicht isst, wird man schwach.

Ja, der Brief, der Brief...

Er zerriss resolut das Kuvert, aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen, er sah lange hin, sammelte seine ganze Willenskraft und zwang sich schließlich, den Brief zu lesen und zu verstehen.

Er las langsam. Die Buchstaben waren so sonderbar lebendig. Als hörte er ihre Stimme, nur in einer neuen Form gegliedert:

Mein teuerster, mein einziger Mann, Du — Du... mein!

Schon eine Woche, seit Du weg bist. Willst Du noch länger bleiben?

Ich bin neugierig, was Du den ganzen Tag über in der Stadt machst. Hast Du Deine Mutter besucht? Natürlich nicht. Aber mit Agaj bist Du oft zusammen, nicht wahr? Es muss ihr doch sehr schwer sein, fortwährend zwischen Dir und Deiner Mutter zu vermitteln. Sie ist ein so prachtvolles Mädchen. Ich liebe sie fast eben so sehr wie Dich und ich habe so oft über ihre Liebe zu Dir nachgedacht. Sie liebt Dich eigentlich gar nicht wie eine Schwester. Ich habe nie etwas Ähnliches unter Geschwistern gesehen? Bist Du sehr oft mit ihr zusammen?

Und morgen werden es zwei Jahre, seit wir verheiratet sind. Denk nur: zwei Jahre! Hast Du den Tag vergessen? Ich bekomme doch sicher morgen einen langen, schönen Brief von Dir? Oder — oder? Ich wage es nicht zu hoffen, aber vielleicht kommst Du selbst?

Nein, nein, komm lieber nicht. Ich habe das Gefühl, dass es Dir in der Stadt gefällt, und das macht mich glücklich. Du hast so entsetzlich gearbeitet und jetzt musst Du ein bisschen Abwechslung haben, ein wenig Luftveränderung, nicht wahr?

Aber wenn Du kämest, das wäre wunderbar. Ich liebe Dich — Du!

Du fühlst Dich doch sehr wohl — wie? Dann bleib’ nur lieber, bleib’, mein Teuerster Du!... Und weißt Du, ich bin manchmal eifersüchtig auf Agaj, ich habe Angst, dass Du sie mehr liebst wie mich. Aber das ist doch Unsinn, nicht wahr? Du musst sie tausendmal von mir grüßen und ihr sagen, dass ich sie liebe, dass sie meine einzige Freundin ist.

Nun leb’ wohl. Du, mein Liebling. Tausend Küsse von Deinem Weib.

Er fing an, den Brief wieder von vorn zu lesen.

„Sie liebt Dich eigentlich gar nicht wie eine Schwester...”

Ein heftiges Licht durchfurchte seine Seele.

Er sah deutlich Agaj vor sich sitzen. Das schwarze seidne Kleid schmiegte sich mit warmer Wollust um die schlanke, magere Gestalt. Er fühlte durch das Kleid die feinen, zarten Glieder.

Er ließ sich in den Fauteuil sinken.

Sie wich nicht von ihm. Immer sah er sie dicht, dicht neben sich. Er entkleidete sie mit den Augen, er wühlte in ihrer Nacktheit, er begehrte sie: sein Gehirn begann in einem gierigen Taumel zu wirbeln.

Aber Agaj ist ja meine Schwester! schrie er entsetzt in sich hinein.

Da hörte er sie plötzlich sprechen. Er verstand nun alles, was er noch vor drei Stunden nicht verstehen konnte.

„Sie liebt Dich eigentlich gar nicht wie eine Schwester...”

Die paar Worte schlugen sich tief in seine Seele. Es war, als wäre dort ein Pünktchen Licht hineingefallen, das nun plötzlich zu einer Feuersbrunst ausgewachsen war.

„Als Du das letzte Mal ins Ausland fuhrst, glaubt ich, dass ich verrückt würde.”

Er hörte es damals fast gleichgültig an, und jetzt, jetzt endlich verstand er es.

Er riss die Augen auf. Er riss sie noch weiter auf: das furchtbare Licht blendete ihn.

Er kroch ganz in sich zusammen. Ein schmerzhafter Wollustkrampf fraß saugend an seinem Hirn, er wehrte sich nicht: die Schauer einer gierigen Lust krochen wie Gift in jeden Nerv seines Körpers.

Er schrak hoch.

Das war das grässliche Fieber! Gott, Gott, was sollte er nur anfangen? Er musste wachen, er musste lauern und wachen, dass es nur nicht wiederkäme. Seine eigne Schwester!... Aber das ist ja Wahnsinn...

Er lachte irrsinnig. Er lachte lange, bis er Angst vor seinem Lachen bekam.

Natürlich war es das Fieber.

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