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soll ich ihm sagen, Mirjam? Soll ich ihm sagen, daß wir deinetwegen wegfahren müssen, weil du, weil du —”

„Weil ich mich mit Kosaken abgebe”, ergänzte Mirjam, ohne sich zu rühren. Und sie fuhr fort: „Sag ihm, was du willst, es soll mich gar nichts angehen. In Amerika werde ich noch eher tun, was ich will. Weil du einen Mendel Singer geheiratet hast, muß ich nicht auch einen heiraten. Hast du denn einen besseren Mann für mich, was? Hast du eine Mitgift für deine Tochter?”

Mirjam erhob ihre Stimme nicht, auch ihre Fragen klangen nicht wie Fragen, es war, als spräche sie gleichgültige Dinge, als gäbe sie Auskunft über die Preise des Grünzeugs und der Eier. Sie hat recht, dachte Deborah. Hilf, guter Gott, sie hat recht.

Alle guten Geister rief Deborah zu Hilfe. Denn sie fühlte, daß sie ihrer Tochter recht geben mußte, sie selbst sprach aus ihrer Tochter. Deborah begann, ebenso vor sich selbst Angst zu haben, wie sie noch vor einer kurzen Weile vor Mirjam Angst gehabt hatte. Bedrohliche Dinge ereigneten sich. Der Gesang der Soldaten klang unaufhörlich herüber. Noch ragte ein kleiner Streifen der roten Sonne über das Violett.

„Ich muß fort”, sagte Mirjam, löste sich von der Mauer, an der sie gelehnt hatte, leicht wie ein weißer Schmetterling flatterte sie vom Bürgersteig, ging mit raschen, koketten Füßen die Straßenmitte entlang, hinaus in die Richtung, in der die Kaserne lag, dem rufenden Gesang der Kosaken entgegen.

Fünfzig Schritte vor der Kaserne, in der Mitte des kleinen Pfades zwischen dem großen Wald und dem Getreide Sameschkins, erwartete sie Iwan.

„Wir fahren nach Amerika”, sagte Mirjam.

„Wirst mich nicht vergessen”, mahnte Iwan. „Wirst immer um diese Stunde, beim Untergang der Sonne, an mich denken und nicht an die andern. Und vielleicht, wenn Gott hilft, komme ich dir nach, wirst mir schreiben. Pawel wird mir deine Briefe vorlesen, schreib nicht zuviel geheime Dinge von uns beiden, sonst muß ich mich schämen.” Er küßte Mirjam, stark und viele Male, seine Küsse knatterten wie Schüsse durch den Abend. Ein Teufelsmädel, dachte er, nun fährt sie hin, nach Amerika, ich muß mir eine andere suchen. So schön wie die ist keine mehr, noch vier Jahre muß ich dienen. Er war groß, bärenstark und schüchtern. Seine riesigen Hände zitterten, wenn er ein Mädchen anfassen sollte. Auch war er in der Liebe nicht heimisch, alles hatte ihm Mirjam beigebracht, auf was für Gedanken war sie nicht schon gekommen!

Sie umarmten sich, wie gestern und vorgestern, mitten im Feld, eingebettet zwischen den Früchten der Erde, umgeben und überwölbt von dem schweren Korn. Willig legten sich die Ähren hin, wenn Mirjam und Iwan niedersanken, noch ehe sie niedersanken, schienen sich die Ähren zu legen. Heute war ihre Liebe heftiger, kürzer und gleichsam erschreckt. Es war, als müßte Mirjam schon morgen nach Amerika. Der Abschied zitterte schon in ihrer Liebe. Während sie ineinanderwuchsen, waren sie sich schon fern, durch den Ozean voneinander getrennt. Wie gut, dachte Mirjam, daß nicht er fährt, daß nicht ich zurückbleibe. Sie lagen lange matt, hilflos, stumm, wie Schwerverwundete. Tausend Gedanken schwankten durch ihre Hirne. Sie merkten nicht den Regen, der endlich gekommen war. Er hatte sachte und tückisch begonnen, es dauerte lange, bis seine Tropfen schwer genug waren, das dichte, goldene Gehege der Ähren zu durchbrechen. Plötzlich waren sie den strömenden Wassern preisgegeben. Sie erwachten, begannen zu laufen. Der Regen verwirrte sie, verwandelte die Welt vollends, nahm ihnen den Sinn für die Zeit. Sie dachten, es sei schon spät, sie lauschten, ob sie die Glocken vom Turm hören würden, aber nur der Regen rauschte, immer dichter, immer dichter, alle andern Stimmen der Nacht waren unheimlich verstummt. Sie küßten sich auf die nassen Gesichter, drückten sich die Hände, Wasser war zwischen ihnen, keins von beiden konnte den Körper des andern fühlen. Hastig nahmen sie Abschied, ihre Wege trennten sich, schon war Iwan in Regen eingehüllt und unsichtbar. Nie mehr werde ich ihn sehen! dachte Mirjam, während sie nach Hause lief. Die Ernte kommt. Morgen werden die Bauern erschrecken, weil ein Regen mehrere bringt.

Sie kam nach Hause, wartete eine Weile unter dem Dachvorsprung, als wäre es möglich, in einer kurzen Minute trocken zu werden. Sie entschloß sich, ins Zimmer zu treten. Finster war es, alle schliefen schon. Sie legte sich leise, naß, wie sie war, sie ließ ihre Kleider am Körper trocknen und rührte sich nicht mehr. Draußen rauschte der Regen.

Alle wußten schon, daß Mendel nach Amerika ging, ein Schüler nach dem andern blieb vom Unterricht weg. Jetzt waren es nur noch fünf Knaben, auch sie kamen nicht zu regelmäßigen Zeiten. Die Papiere hatte Kapturak noch nicht gebracht, die Schiffskarte hatte Sam noch nicht geschickt. Aber schon begann das Haus Mendel Singer zu zerfallen. Wie morsch muß es doch gewesen sein, dachte Mendel. Es ist morsch gewesen, und man hat es nicht gewußt. Wer nicht achtgeben kann, gleicht einem Tauben und ist schlimmer daran als ein Tauber so steht es irgendwo geschrieben. Hier war mein Großvater Lehrer; hier war mein Vater Lehrer, hier war ich ein Lehrer. Jetzt fahre ich nach Amerika. Meinen Sohn Jonas haben die Kosaken genommen, Mirjam wollen sie mir nehmen. Menuchim — was wird mit Menuchim? Noch am Abend dieses Tages begab er sich zu der Familie Billes. Es war eine frohe Familie, es schien Mendel Singer, daß sie unverdient viel Glück hatte; alle Töchter waren verheiratet, bis auf die jüngste, der er eben sein Haus anbieten wollte, alle drei Söhne waren dem Militär entgangen und in die Welt gefahren, der eine nach Hamburg, der andere nach Kalifornien, der dritte nach Paris. Es war eine fröhliche Familie, Gottes Hand ruhte über ihr, sie lag wohl gebettet in Gottes breiter Hand. Der alte Billes war immer heiter. Alle seine Söhne hatte Mendel Singer unterrichtet. Der alte Billes war ein Schüler des alten Singer gewesen. Weil sie einander schon so lange kannten, glaubte Mendel, ein kleines Anrecht an dem Glück der Fremden zu haben. Der Familie Billes — sie lebten nicht im Überfluß — gefiel der Vorschlag Mendel Singers. Gut! — das junge Paar wird das Haus übernehmen und Menuchim dazu. „Er macht gar keine Arbeit”, sagte Mendel Singer. „Es geht ihm auch von Jahr zu Jahr besser. Bald wird er mit Gottes Hilfe ganz gesund sein. Dann wird mein älterer Sohn Schemarjah herüberkommen, oder er wird jemanden schicken und Menuchim nach Amerika bringen.”

„Und was hört Ihr von Jonas?”, fragte der alte Billes. Mendel hatte schon lange nichts von seinem Kosaken gehört, wie er ihn im Stillen nannte — nicht ohne Verachtung, aber auch nicht ohne Stolz. Dennoch antwortete er: „Lauter Gutes! Er hat lesen und schreiben gelernt, und er ist befördert worden. Wenn er kein Jude wäre, wer weiß, vielleicht wäre er schon Offizier!” Es war Mendel unmöglich, im Angesicht dieser glücklichen Familie mit dem schweren Übergewicht seines großen Unglücks auf dem Rücken dazustehen. Deshalb streckte er den Rücken und log ein bißchen Freude vor.

Es wurde ausgemacht, daß Mendel Singer sein Haus vor einfachen Zeugen der Familie Billes zur Benutzung übergeben würde, nicht vor dem Amt, denn das kostete Geld. Drei, vier anständige Juden als Zeugen genügten. Inzwischen bekam Mendel einen Vorschuß von dreißig Rubeln, weil seine Schüler nicht mehr kamen und das Geld zu Hause ausging.

Eine Woche später rollte noch einmal Kapturak in seinem leichten Wägelchen durch das Städtchen. Alles war da: das Geld, die Schiffskarte, die Pässe, das Visum, das Kopfgeld für jeden und sogar das Honorar für Kapturak.

„Ein pünktlicher Zahler”, sagte Kapturak. „Euer Sohn Schemarjah, genannt Sam, ist ein pünktlicher Zahler. Ein Gentleman, sagt man drüben ...”

Bis zur Grenze sollte Kapturak die Familie Singer begleiten. In vier Wochen ging der Dampfer „Neptun” von Bremen nach New York. Die Familie Billes kam Inventur aufnehmen. Das Bettzeug, sechs Kissen, sechs Leintücher, sechs rot-blau karierte Bezüge nahm Deborah mit, man ließ die Strohsäcke zurück und das spärliche Bettzeug für Menuchim.

Obwohl Deborah nicht viel zu packen hatte und obwohl sie alle Stücke ihres Besitzes im Kopfe behielt, blieb sie doch unaufhörlich in Tätigkeit. Sie packte ein, sie packte wieder aus. Sie zählte das Geschirr und zählte noch einmal. Zwei Teller zerbrach Menuchim. Er schien überhaupt seine stupide Ruhe allmählich zu verlieren. Er rief seine Mutter öfter als bisher, das einzige Wort, das er seit Jahren aussprechen konnte, wiederholte er, auch wenn die Mutter nicht in seiner Nähe war, ein dutzendmal. Er war ein Idiot, dieser Menuchim! Ein Idiot! Wie leicht sagt man das! Aber wer kann sagen, was für einen Sturm von Ängsten und Sorgen die Seele Menuchims in diesen Tagen auszuhalten hatte, die Seele Menuchims, die Gott verborgen hatte in dem undurchdringlichen Gewände der Blödheit! Ja, er ängstigte sich, der Krüppel Menuchim. Er kroch manchmal aus seinem Winkel selbständig bis vor die Tür, hockte an der Schwelle, in der Sonne wie ein kranker Hund und blinzelte die Passanten an, von denen er nur die Stiefel zu sehen schien und die Hosen, die Strümpfe und die Röcke. Manchmal griff er unvermutet nach der Schürze seiner Mutter und knurrte. Deborah nahm ihn auf den Arm, obwohl er schon ein ansehnliches Gewicht hatte. Dennoch wiegte sie ihn im Arm und sang zwei, drei abgerissene Strophen eines Kinderliedes, das sie selbst schon ganz vergessen hatte und das in ihrem Gedächtnis wieder zu erwachen begann, sobald sie den unglücklichen Sohn in den Armen fühlte. Dann ließ sie ihn wieder niederhocken und ging an die Arbeit, die seit Tagen lediglich aus Packen und Zählen bestand. Plötzlich gab sie es wieder auf. Sie blieb eine Weile stehen, mit nachdenklichen Augen, die denen Menuchims nicht unähnlich waren; so ohne Leben waren sie, so hilflos in einer unbekannten Ferne nach den Gedanken suchend, die das Gehirn zu liefern sich weigerte. Ihr törichter Blick fiel auf den Sack, in dem die Polster eingenäht werden sollten. Vielleicht, fiel es ihr ein, konnte man Menuchim in einen Sack nähen? Gleich darauf erzitterte sie bei der Vorstellung, daß die Zollrevisoren mit langen, scharfen Spießen die Säcke der Passagiere durchstechen würden. Und sie begann, wieder auszupacken, und der Entschluß durchzuckte sie zu bleiben, wie der Rabbi von Kluczysk gesagt hatte: „Verlaß ihn nicht, als wenn er ein gesundes Kind wäre!” Die Kraft, die zum Glauben gehörte, brachte sie nicht mehr auf, und allmählich verließen sie auch die Kräfte, deren der Mensch bedarf, um die Verzweiflung auszuhalten.

Es war, als hätten sie, Deborah und Mendel, nicht freiwillig den Entschluß gefaßt, nach Amerika zu gehen, sondern als wäre Amerika über sie gekommen, über sie hergefallen, mit Schemarjah, Mac und Kapturak. Nun, da sie es bemerkten, war es zu spät. Sie konnten sich nicht mehr vor Amerika retten. Die Papiere kamen zu ihnen, die Schiffskarten, die Kopfgelder. „Wie ist es”, fragte Deborah einmal, „wenn Menuchim plötzlich gesund wird, heute oder morgen?” Mendel wiegte eine Weile den Kopf. Dann sagte er: „Wenn Menuchim gesund wird, nehmen wir ihn mit!” Und sie ergaben sich beide schweigend der Hoffnung, daß Menuchim morgen oder übermorgen gesund von seinem Lager aufstehen würde, mit heilen Gliedern und einer vollkommenen Sprache.

Am Sonntag sollen sie fahren. Heute ist Donnerstag. Zum letzten Mal steht Deborah vor ihrem Herd, die Mahlzeit für den Sabbat zu richten, das weiße Mohnbrot und die geflochtenen Semmeln. Offen brennt das Feuer, zischt und knistert, und der Rauch erfüllt die Stube wie an jedem Donnerstag seit dreißig Jahren. Es regnet draußen. Der Regen drängt den Rauch aus dem Schornstein zurück, der alte gezackte, vertraute Fleck im Kalk des Plafonds zeigt sich wieder in seiner feuchten Frische. Seit zehn Jahren hätte das Loch in den Schindeln des Daches ausgebessert werden sollen, die Familie Billes wird es schon machen. Gepackt steht der große, eisenbeschlagene, braune Koffer, mit seiner soliden Eisenstange vor dem Schlitz und mit zwei funkelnden, neuen, eisernen Schlössern. Manchmal kriecht Menuchim an sie heran und läßt sie baumeln. Dann gibt’s ein unbarmherziges Klappern, die Schlösser schlagen gegen die eisernen Reifen und zittern lange und wollen sich nicht beruhigen. Und das Feuer knistert, und der Rauch erfüllt die Stube.

Am Sabbat-Abend nahm Mendel Singer Abschied von seinen Nachbarn. Man trank den gelblich-grünen Schnaps, den einer selbst gebrannt und mit trockenen Schwämmen durchsetzt hat. Also schmeckt der Schnaps nicht nur scharf, sondern auch bitter. Der Abschied dauert länger als eine Stunde. Alle wünschen Mendel Glück. Manche betrachten ihn zweifelnd, manche beneiden ihn. Alle aber sagen ihm, daß Amerika ein herrliches Land ist. Ein Jude kann sich nichts Besseres wünschen, als nach Amerika zu gelangen.

In dieser Nacht verließ Deborah das Bett und ging, die Hand sorgsam gewölbt um eine Kerze, zum Lager Menuchims. Er lag auf dem Rücken, sein schwerer Kopf lehnte an der zusammengerollten, grauen Decke, seine Lider standen halb offen, man sah das Weiße seiner Augen. Bei jedem Atemzug zitterte sein Körper, seine schlafenden Finger bewegten sich unaufhörlich. Er hielt die Hände an der Brust. Sein Angesicht war im Schlaf noch fahler und schlaffer als am Tag. Offen standen

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