Androgyne - Stanisław Przybyszewski (wypożyczenie książki przez internet txt) 📖
- Autor: Stanisław Przybyszewski
- Epoka: Modernizm
- Rodzaj: Epika
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Er wollte etwas sagen, aber kein Wort würde er jetzt herauspressen können; er zitterte am ganzen Leib und sie zitterte.
Plötzlich ließ sie die Augen sinken, noch einen Augenblick blieb sie stehen und ging wankend an ihm vorüber.
Er erwachte.
Er ging hinter ihr, leise und vorsichtig. Er schlich die Bäume entlang, ab und zu verbarg er sich hinter breiten Stämmen, denn er fürchtete, sie könnte sich furchtsam umdrehen und aufhorchen, ob er sie nicht verfolgt.
Er sah, wie ihr Schatten sich bei jeder Laterne verlängerte, dann wieder kürzer wurde und ganz verschwand — ach! Nur ihren Schatten von der Erde losreißen zu können, dachte er, ihren Schatten — ihren Schatten...
Plötzlich richtete er sich auf mit jähem Entschluss. Sie erreichen, sie an die Hände fassen — ihr in die Augen sehen — lange, durchdringlich bis tief auf den Grund, ihre Hände in den seinen zerknittern und sie fragen, nur das Eine: Du hast mir den Strauß geschenkt?
Aber plötzlich bog sie um und verschwand, bevor er es vermochte, seinen Entschluss auszuführen.
Er starrte lange in das dunkle Haustor hinein.
Einen Augenblick schien es ihm, als ob sie in dem dunklen Flur stehenbliebe, sich an die Wand anlehnte, dass sie auf ihn wartet und ihn mit ihren Augen ruft — das Weiß ihrer Hände leuchtete auf, die Seide ihres Kleides rauschte, aber nein — er irrte sich.
Und er wollte todmüde nach Hause umkehren...
Eine schwere, unsagbar stille Trauer breitete sich über seinem Hirn, ergoss sich im Herzen, sog sich ein in das feinste Geäst seiner Nerven.
Nie hat er noch diese Traurigkeit so quälend empfunden.
Das Wunder war vollbracht.
Er liebt sie.
Und erschreckt fragte er sich: Das also ist die Liebe?
Er setzte sich auf eine Bank nieder und grübelte.
Und jäh schoss vor den Augen seiner Seele ein heißer Strom von Frauengestalten, Frauen, die er kannte, die er an sich presste und in wilder Blutfanfare eins mit ihnen wurde...
Die da, unergründlich, geheimnisvoll mit dem schillernden Glanz schwerer Seide — kauernd, sprungbereit wie eine Pantherkatze —
Jene mit den süßen Taubenaugen und unflätigem Herzen, sanft wie eine Gazelle und gierig wie ein Raubtier —
Oder jene, deren Leib so kühl war, wie der einer Schlange, oder die Blätter der Wasserrose —
Die wieder schlank und herrlich, ihrer eigenen Pracht trunken —
Oder jene mit den Formen eines göttlichen Epheben, einer biegsamen Damaszenerklinge vergleichbar...
Sie alle hat er besessen, aber keine geliebt...
Er verließ sie ohne zu trauern und trauerte nicht, wenn er verlassen wurde, und wenn er seinen Lebensweg zurückblickte, sah er keine gebrochene Blume am Rand — kein gebrochener und verwelkter Ast sagt ihm: hier hat ein Sturm gehaust.
Dies also jetzt ist die Liebe, flüsterte er. Die Stunde des Wunders ist gekommen.
Jäh warf er aus seinem Gehirn die lüsternen Bilder brünstiger Hetären und unschuldiger Täubchen, gehässig sah er nach den verschwindenden nackten Leibern, dem Chaos lustschreiender Arme und Beine, den ersterbenden, zuckenden Orgien trunkener Sinne und mit kindlicher Andacht flüsterte er leise vor sich hin:
Die Stunde des Wunders ist gekommen, die Stunde des Wunders...
Und er grübelte — endlos...
Ja, er liebte sie.
Liebte sie, wie er einst den Lichtstrom geliebt, der sich in der Nacht über das Meer ergoss.
Er sah deutlich den riesenhaften granitnen Leuchtturm, den er lange bewohnt hat, hoch oben auf der höchsten Felsspitze eines Vorgebirges.
Und er entsann sich deutlich der seltsamen Formen des Felsens. Als ob eine himmelstürmende Woge plötzlich versteinerte in dem Augenblick, als ihr spritzender, schaumgepeitschter Rücken bersten sollte, um sich in ein abgründiges Wassertal zu stürzen.
Und auf dem zerzausten, zerrissenen Kamm der versteinerten Höllenhengst-Mähne schoss hoch empor der granitne Turm.
Stundenlang saß er da oben an dem Herd des elektrischen Lichtes, sah durch die riesengroßen Glasprismen der Laterne auf das ewig neue Lichtwunder da unten auf dem Meer.
Er sah den Lichtstrom, wie einen Keil, der sich über die Rinder goss in der weltenverlorenen, stillen, dunklen Öde der Wasserflut in den Mondglanznächten.
Eine lichttrunkene Hand legte sich mit weichem Glanz auf den Schoß der Geliebten, zerfloss auf ihm, glitt auf und ab, wie verlangende, schweigende Lippen auf der zitternden Brust des geliebten Mädchens irren.
Ganze Nächte sah er dieser unendlich weichen, zitternden Liebkosung zu, dieses Gleiten und Irren dieser lichtdurchsättigten, traumbefangenen Hand.
Und wieder sah er, wie das Licht in die gerunzelte Flut goldene Fäden einwebte. Wie weit das Auge reicht, nichts als das goldene Spinngewebe feinster Spitzen in unermesslichem Reichtum und Pracht — das goldene Netz weitete sich und weitete in immer größeren Kreisen und immer neue und reichere Fäden verstrickten, verknäuelten die Ringe, verfädelten sie zu immer kunstvolleren Maschen und es war, als ob der Leuchtturm lebendig würde, einer meerbeherrschenden Göttin, welche die Schleppe von goldenen Spitzen ihres hochzeitlichen Brautkleides über das Meer gebreitet hatte.
Dann sah er das Licht des Leuchtarmes, wie es sich in verzweifeltem Mühen in das dunkle Nebelgewölk hineinfraß. Immer neue, immer schwerere Nebelmassen fielen auf das Meer nieder, immer dunkler, fingen sich an zu verdichten, bis sie zu einer schwarzen, undurchdringlichen Mauer wurden. Diese Feste stürmte das Licht. Mit mächtigen Keilen warf es sich in das schwarze Mauerwerk, suchte es mit Riesenkrallen zu zerreißen, mit neuen und mächtigeren Strömen zu durchbrechen, vom Meeresgrund zu lösen, aber vergeblich.
Aber am tiefsten liebte er das Licht, wenn es in wilden Sprüngen auf dem Meer raste und einen wahnsinnigen Veitstanz auf den schäumenden Wellenkämmen aufführte. Wenn die Fundamente des Leuchtturms krachten, als wären sie von einem Erdbeben erschüttert, wenn der rasende Orkan ungeheure Wassermassen gegen die Prismen der Laterne warf — dann weinte er vor unermesslicher Liebe für das Licht.
So, ach so, war das Licht, das ihre Augen in seine Seele ihm hineingeschienen haben.
Weich und kosend, wie die weiße, leuchtende Hand, die der Schoß des Meeres streichelte, verlangend mit der Lust schweigender Lippen, die auf der keuschen Mädchenbrust irren — zitternd und spielend in dem goldenen Spitzengewebe, dem hochzeitlichen Kleide, das sich über das Meer breitete, stürmisch und verzweifelt in dem ohnmächtigen Ringen mit den schwarzen Nebelwolken, schmerzverkrampft in dem Kampf des Lichtdrachen mit dem Loki des Meeres.
Und im selben Nu, in der Stunde des großen Wunders formte sich ihm die ganze Welt um. Alle Formen und Gestalten kleideten sich in die schlanke, biegsame Linienpracht ihres Körpers, die ganze Sintflut von Farben, der ganze Lichtozean des Alls ergoss sich in einen dunklen, heißen Glanz, der um ihre Augen kreiste, aus dem unermesslichen Chaos von Tönen, Bewegungen, Harmonien vom Flüssigen und Festen blühte auf ein wundersames Lied, ein Lied, das sie war — sie, die Einzige.
Dazu hat ihn die Erde geboren, dazu ihre Gestalt in seine Seele eingezeichnet, damit sich ihre eigenen Linien in der verkörpern, die er suchte, sich in sie ergießen wie eine seit Ewigkeit vorbereitete Form?
Dazu ergoss sich in seine Augen das Wunder der Mondnächte über den öden Brachfeldern und der Lichtschmerz über dem Meer und der jauchzende, zitternde Sonnenglanz über den mittäglichen Heimatsdächern — dazu brannten sich in ihn hinein die Farben sonnverbrannter Steppen und giftiger Sumpfblumen, damit nur ihr Augenlicht bis auf den Grund seiner Seele sich bohren und dort sein Innerstes und Heiligstes aufwecken, damit der Glanz ihrer Haare sich schmeichelnd um seine Nerven legen, und der Ton ihres Körpers ungeahnte, nie gekannte Lust göttlicher Harmonie auf seiner Seelenharfe spielen könnte?
Und dazu ächzte und stöhnte seine Erde diese unsäglich traurigen Klagen, dazu dröhnten die Glocken bange Ahnungen, und auf dem Brachacker sang der Wind weltfremde Schmerzen in den Takt der wogenden Weizenfelder, damit jede Zuckung ihres Körpers, jede feine, biegsame Bewegungswelle mit der Form seiner Seele eins würde?
Er rieb sich die Stirn und konnte es nicht fassen.
Dazu lebte alles um ihn herum, dazu bildete und erzog sich seine Seele, um die Form zu schaffen, welche die Unbekannte ausfüllen sollte?
Er erhob sich und ging.
Ein stiller Triumph ergoss sich in seiner Seele.
Er ging stolz mit hochaufgerichtetem Haupt, ging wie ein Heerfahrer in dem Gefühl eines unendlichen Machtbewusstseins. Trug er ja doch eine Sonne in seiner Brust — das ganze All, die tiefsten und geheimsten Rätsel des Alls.
Er ging still und groß, denn seine Seele hat ihm ihre dunkelste Tiefe geoffenbart, ließ ihm die geheimsten Runen, die in ihrer Rinde eingegraben waren, deuten und er ging her mit dem Schatz der Sonne in seinem Inneren.
Er ging immer schneller den steilen Pfad hinauf, aber er ging leicht, als wäre er durch eine fremde Kraft getragen, bis er endlich eine Anhöhe erklomm.
Er sah in die Tiefe — dort unten in dem Tal zu seinen Füßen — dies wogende Meer von Dächern, das in einem feinen Lichtdunst gebadet schien — das war seine Stadt.
Und in der Ferne hinter der Stadt ein Gebirgszug in gebogenen Linien, im Zickzack in verbogenen Kurven: ein wirres Mäanderschema von Hügeln, die sich nahmen, Anhöhen, jäh aufschreckenden Felszacken, schäumenden Wogen vergleichbar, die aus der Tiefe des Horizontes hochspritzten, schäumten, sich übereinander hochtürmten; und alle Anhöhen waren mit Kastanienwäldern bewachsen. Grüne Kastanienberge mit einer Schneedecke von weißer Blütenpracht. Hei! Wie flackerte das weiße Totenkerzenlicht der Blüten auf dem grünen Damast, der von dem Himmel sich bis in die Stadt hinunter zu gießen schien!
Und plötzlich breitete sich sein Herz in einem niegekannten Machtgefühl. Er wuchs in den Himmel, er streckte seine Arme aus, ein wildes Geschrei mühte sich in ihm hoch, um dem Weltall die Sonne zu zeigen, die er in seinem Herzen trug, er fühlte, dass er Licht ausstrahlte, er ging wie von einer Lichtwoge umbraust, fühlte dass er, über das Sein erhoben, seine Himmelfahrt feiere.
Und wieder fiel er zusammen.
Sein Sinn schlug um.
Nach Hause!
Es wurde spät, die Laternen hat man ausgelöscht, und er ging in dem dämmrigen Halbdunkel der breitgeästeten Kastanienallee wie in einem traumwirren Schlaf. Er ging und wusste kaum, dass er geht.
Eine wütende Sehnsucht zerfurchte tief seine Seele, es kochte und brodelte in seinem Hirn.
Und doch trug er sie in sich, die Sonne, du Weltall — dies alles barg sein Herz — wonach sehnte er sich noch?
Er lächelte still vor sich hin.
Ihr Gesicht so seltsam hell und durchsichtig, ihre Augen so groß und erschrocken, ihre Gestalt so schlank und biegsam wie junges Schilf im Frühlingswind...
Das Fieber zehrte an ihm.
Er kam nach Hause und warf sich auf das Bett...
Die Macht erstarrte in der Luft. Die Macht versteinerte, kein Lichtstrahl konnte sich durch das schwere, granitne Nachtgewölbe durchstehlen, das mit einem massigen, schwarzen Regenbogen über der Erde lagerte...
In der dunklen Nacht schrien verzweiflungsvoll große Blumen nach der Sonne, verkrampften sich in qualvollem Leiden, richteten sich wieder auf, schossen jäh empor wie in den Konvulsionen der Starrsucht, warfen sich zur Erde in Choreakrämpfen, bogen sich spiralförmig wie in den Delirien der Besessenheit und ganze Felder weißer Narzissen starrten in sinnloser Verzweiflung mit blutigen Augen vor sich hin.
Weiße Narzissen mit Augen, die brachen und mit Blut übergingen, mit Blut, das auf den Stengeln langsam niedertroff in großen schweren Tropfen.
Und über dieser weißen Öde, gesprenkelt von den roten Flecken blutiger Tränen, ragten hoch empor zwei stolze, schlanke Stengel; zwei weiße Sterne tanzten in der Luft, reckten sich höher und höher, zerrissen mit trunkener Hoffnungslust das Dickicht des Dunkels, legten die Köpfchen leise aneinander und ihre Augen verflochten sich in dem Schweigen heiliger Ahnungen.
Er sah lange die einsamen Blumen, lächelte leise und ging weiter.
Er arbeitete sich mühsam durch ein Dickicht von ungeheuerlichsten Blumen, die jegliches Gift, jegliche Fäulnis der Erde in sich aufzusaugen schienen.
Er irrte zwischen nassem Sumpfgestrüpp, unter riesengroßen Nachtschattenblumen, die in violettener Trauer prangten, ging an ungeheuren Tollkirschenhecken, überreich an schwerer, wie gebeiztes Ebenholz glänzenden Traubenlast, Bilsenkrautgebüschen, die mit ihren schmutzigen aschfarbenen Blüten mitternächtlichen Graus schrien, blasser Schirlingwald vertrat ihm den Weg, an den Gräben schreckten ihn die vom grauen Star überzogenen Augen des Stechapfels, die hohen Stauden des Tollkrauts schlugen ihm ins Gesicht, es blendete ihn der Hahnenfuß, der in der roten Glut des Almfeuers brannte.
Und tiefer und tiefer arbeitete er sich hinein in dies schauerliche Giftreich, bis er plötzlich in tiefstem Schreck stehenblieb.
Von allen Seilen verengerte sich der Raum, von weiter Ferne schien er heranzurasen, machte immer mehr den Platz um ihn enger und schmäler, umringte ihn mit einer Mauer und er sah sich plötzlich in einem geheimen Saal, von der Art eines Tempels von Eleusis, wo seltsame Mysterien gefeiert wurden oder einem Geheimraum des Isisheiligtums, wo die Priesterin ihren Hymen dem gottgeweihten Bock, opferte, oder einer von der Göttin Kali bewohnten, unterirdischen Grotte, wo die Thuggs den Opfern von giftigen Schlangen das Augenlicht aussaugen lassen — vielleicht war er in einer verfallenen Katakombe, wo der Satan mit der Bifurka seines Phallus seine Geliebte in unmenschlicher Brunst verbluten ließ, oder einer Krypta einer mittelalterlichen Kapelle, wo gottschänderische Priester auf dem nackten Leib der Schlossherrin die schwarze Messe feierten...
Erstaunt und schreckerfüllt sah er sich um.
Von der Wölbung hing eine Lampe herunter, dichtbesetzt von Rubinen, menstruierenden Eiern vergleichbar, faustgroßen Diamanten von dem blassen Licht eines Ödems, kostbaren Steinen, die wie Sarkomeklumpen an der Lampe hafteten, Onyxe, Berylen, Chrysolithen — und durch das giftige Wasser des kranken Edelgesteins ergoss sich eine Flut von Licht verreckender Rubinsonnen durchglüht von dem grünen Irrlicht-Golfstrom der Smaragde.
Und in
Uwagi (0)